Gut fünf Zentimeter Durchmesser und 8,5 Zentimeter Höhe: Die handliche Rechenmühle Curta sollte ein Geschenk für Hitler werden.

Foto: Liechtensteinisches Landesmuseum / Beham

Innenleben: Ein Schnitt durch die Curta I.

Foto: Liechtensteinisches Landesmuseum / Beham

Der "Steve Jobs des Mechanikzeitalters": Der Wiener Ingenieur Curt Herzstark (1902-1988).

Foto: Liechtensteinisches Landesmuseum / Beham

"Ich war auf Anhieb verblüfft, als ich die Maschine in einem Museum entdeckt habe", sagt Herbert Bruderer. Der Informatik-Historiker von der ETH Zürich kommt richtig ins Schwärmen, wenn er von der Curta spricht: "So hübsch, so elegant und so leistungsfähig. Und dabei klein und handlich."

Bruderer ist spezialisiert auf die Frühzeit mechanischer und elektronischer Rechengeräte, die Pioniere der Computertechnologie. Während seiner Recherchen stolperte er über einen Vorläufer des Taschenrechners: die Curta - für Bruderer "die Krönung der mechanischen Rechengeräte". Ihr Erfinder, der Wiener Curt Herzstark, ist unter Fachleuten kaum mehr bekannt. Das will Bruderer ändern.

Vor 75 Jahren, im Frühjahr 1938 - kurz vor dem Einmarsch Hitlers - meldete Herzstark die Hauptpatente für die kleinste Rechenmaschine der Welt an. Schon Ende 1937 hatte er während einer Zugfahrt den entscheidenden Geistesblitz für einen Miniapparat, der alle vier Grundrechenarten - Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren - beherrschte.

Seit den 1920er-Jahren hatte der Ingenieur an einem Rechner getüftelt, der in eine Jackentasche passte und im Gegensatz zu den üblichen wuchtigen Tischrechnern mobil war - und somit Baumeistern, Architekten und Zollbeamten das Leben leichter machte. Heraus kam eine Mischung zwischen Pfeffermühle und Fotoobjektiv, mit einer Staffelwalze als Herzstück und einer Kurbel, die das Ergebnis auch komplexer Rechenoperationen quasi im Handumdrehen ausspuckt. Viel Glück brachte Herzstark seine Erfindung allerdings nicht. Der "Steve Jobs des Mechanikzeitalters", wie ihn der Spiegel titulierte, wurde weder reich noch berühmt. Als die Maschine 1948 in Serienproduktion ging, hatte er nahezu keinen Einfluss mehr darauf. Dennoch: Seine Erfindung hatte ihm im Konzentrationslager Buchenwald das Überleben gesichert.

Gestapo-Intervention

Curt Herzstark wird 1902 als Sohn von Samuel Jakob Herzstark geboren, einem jüdischstämmigen Rechenmaschinenhersteller, der konfessionslos blieb, und Maria Herzstark, einer Katholikin, die zum evangelischen Glauben übergetreten war. Als "freigeistig und sehr modern" beschrieb er seine Eltern. Der Vater stirbt 1937, die Mutter tritt das Erbe an, was nach dem "Anschluss" hilft, um die väterliche Firma als "arischen" Betrieb erhalten zu können. Curt Herzstark wird einfacher Angestellter. Die Wehrmacht verfügt, die Produktion auf hochpräzise Messgeräte für Kriegsartillerie umzustellen.

Herzstark bleibt zunächst von der Judenhetze verschont - bis 1943 zwei Mitarbeiter verhaftet werden, weil sie englische Sender gehört und die Informationen vervielfältigt haben. Herzstark interveniert bei der Gestapo. Kurz darauf wird er als "Halbjude" aus fadenscheinigen Gründen verhaftet und über Umwege in das KZ Buchenwald verschleppt.

In einem Interview, das Erwin Tomash vom Charles Babbage Institute der Universität Minnesota im Jahr 1987 führte, erinnert sich Herzstark: "Hören Sie mal, wenn Sie nicht Gedächtnisschwund haben und unsere Befehle gehorsam erfüllen, dann werden Sie das Leben im Lager erträglich finden", habe der SS-Offizier in Buchenwald zu ihm gesagt, seinen Lebenslauf in der Hand.

Herzstark wird in das dem Lager angeschlossene Gustloff-Werk abkommandiert, wo er die Herstellung feinmechanischer Präzisionsteile für die Rüstungsmaschinerie beaufsichtigen muss. Der Leiter des Werks kennt Herzstarks Arbeit und legt ihm nahe, an den Sonntagen und Abenden nach der Zwangsarbeit detaillierte Skizzen seines Taschenrechners anzufertigen.

Eine heikle Aufgabe, die Herzstark im Gespräch mit Tomash als "Rettungsanker" betrachtete. Der Apparat sollte Hitler zum Geschenk gemacht werden. Dafür werde Herzstark "sicher nach dem siegreichen Krieg arisiert", stellte ihm der Fabriksleiter in Aussicht. Er sei ein "Edelhäftling" gewesen, sagte Herzstark später. Seine Sonderstellung ermöglichte es ihm, Lebensmittelpakete in Empfang zu nehmen, aber auch, einige KZ-Häftlinge in die Fabrik zu holen.

1945 wird das Lager von den Amerikanern befreit, und Herzstark macht sich mitsamt seinen Zeichnungen zu den nahen Rheinmetallwerken auf. Dort erkennt man das mechanische Meisterwerk, und er lässt auf eigene Kosten Prototypen fertigen. Als das Gebiet zu den Russen wechselt, schlägt sich Herzstark nach Wien durch - aus Angst davor, nach Russland entführt zu werden. "Solche Entführungen in den Osten waren in dem Gerangel um die besten Köpfe nicht unüblich", bestätigt Herbert Bruderer.

In Wien erwarten Herzstark jedoch nur Familienstreitigkeiten. Sein jüngerer Bruder soll an der Firma und seiner Erfindung beteiligt werden, was er entschieden ablehnt. Nachdem auch die Suche nach Investoren scheitert, verlässt er Österreich 1946, um dem Ruf des Fürsten Franz Joseph II. von Liechtenstein zu folgen. Dieser ist auf der Suche nach Innovationen und macht Herzstark zum technischen Direktor der neu gegründeten Firma Contina. Nach dem Höhenflug folgt ein Tiefschlag dem nächsten. Herzstark hat keine Entscheidungsbefugnis, Versprechungen werden nicht eingehalten, es fehlt stets an Geld - er fühlt sich hintergangen. Ende 1948 startet endlich die Serienproduktion, doch wegen eines Patentstreits verlässt Herzstark 1951 die Firma endgültig.

Von der Curta und ihrer Nachfolgerin Curta II wurden nur etwa 140.000 Stück verkauft, 1965 wird die Contina von der Firma Hilti übernommen. "Schätzungen zufolge hätte es einen Markt für mehrere Millionen Stück gegeben", sagt Bruderer. Auch Herzstarks Privatleben läuft aus dem Ruder. Seine Frau, mit der er seit 1946 verheiratet ist, geht mit dem Sohn und der Tochter nach Wien zurück, er selbst bleibt bis zu seinem Tod am 27. Oktober 1988 in Liechtenstein, ist als Berater tätig und hält Vorträge.

Die Curta wird noch bis 1972 produziert - bis sie von den elektronischen Taschenrechnern eingeholt wird. Heute ist die Rechenmühle ein begehrtes Sammlerobjekt und unter anderem im Technischen Museum Wien zu sehen. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 23.10.2013)