München/Wien – Keine drei Monate währte die Ruhe, die Neo-Siemens-Konzernchef Joe Kaeser dem Elektromulti bei seinem Antritt im Sommer versprochen hatte. Nun wird nach dem Konzernvorstand auch die Organisation gestrafft. Die 2008 eingezogene Ebene der Ländergruppen ("Cluster" ) wird abgeschafft und durch 30 "Lead-Countries"  ersetzt, also größere Landesgesellschaften, an die kleinere Länder ab 1. November berichtsmäßig angeschlossen werden.

Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf Österreich, das seit Jahren ehemalige Ostblockländer um sich scharte und 2008 zum Kopf des CEE-Clusters mit 16 Mitgliedern aufstieg. Dieser Cluster bröckelt nun. Österreich bleibt zwar eines von 30 Lead-Countries, verliert aber einen der großen Wachstumsmärkte in Europa: die Türkei. Des Weiteren schert Prag aus dem Ostnetzwerk aus, Tschechien wird ein "Lead-Country" .

Direkte Verantwortung

Das von Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun verantwortete Netzwerk umfasst künftig nur mehr 18 Länder – von Armenien über den Balkan und Israel bis zur Ukraine. "Wir sind für 18 Länder in CEE zuständig und tragen für die Marktdurchdringung und den wirtschaftlichen Erfolg dieses Raumes die direkte Verantwortung ge­genüber dem Vorstand der Siemens AG" , teilte Siemens-Konzernsprecher Alexander Becker auf Standard-Anfrage mit.

Der Elektrokonzern erhofft sich durch die Maßnahme einen besseren Kundenzugang und den Ausbau des Geschäfts in den Regionen. Dabei sollen die Landesgesellschaften mehr als bisher in die Pflicht genommen werden. Die Aufteilung in Cluster habe sich nicht bewährt, sei bürokratisch ge­wesen, habe zur Verdopplung von Strukturen geführt und auch zu Rivalitäten zwischen Landes- und Cluster-Management, sagen mit der Materie vertraute Personen. "Einfacher und marktnäher"  solle Siemens werden, erklärte Konzernchef Kaeser. Die umsatzträchtigsten und wachstumsstärksten Länder berichten wieder direkt an die Vorstände der Sektoren Energie, Industrie, Gesundheit und In­frastruktur & Städte.

Apropos: Neu organisiert werden mit dem Regionengeschäft auch die Zuständigkeiten im Konzernvorstand: Energie-Vorstand Mi­chael Süß verantwortet künftig Nordamerika und den Mittleren Osten, Medizintechnik-Vorstand Hermann Requardt kümmert sich um Südamerika und Japan; Infrastruktur-Chef Roland Busch wird für Asien und Australien zuständig. Bleiben Europa, Afrika und die ehemaligen Sowjetstaaten, sie werden künftig an ­Industrievorstand Siegfried Russwurm reportieren. Der rückt Siemens Österreich übrigens näher. Russwurm übernimmt nämlich den Vorsitz im Aufsichtsrat der Siemens AG Österreich (Sagö) von Brigitte Ederer, die vor drei Wochen vorzeitig aus dem Konzernvorstand in München ausgeschieden ist. Ob Konzernchef Kaeser im Kontrollgremium der Wiener Niederlassung bleibt, stehe noch nicht fest, heißt es.

Keine Niederlage

Als Niederlage will man die Erosion der "Siemens-Monarchie"  im Kronland Österreich naturgemäß nicht sehen. Die verantworteten Regionen seien immer noch groß genug. Im Geschäftsjahr 2011/12 (30. September) wurden zwischen Wien, Kaukasus, der Türkei und Israel mit 36.200 Mitarbeitern 8,2 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. Mit Ausnahme der Industriesparte gebe es über die Sektoren Energie, Medizintechnik und Infrastruktur auch künftig zumindest teilweise Anbindung, betonte Siemens-Österreich-Sprecher Ha­rald Stockbauer.

Längst passé sind freilich die Zeiten mit relativer Finanzautonomie. Das Stammhaus holte sich in vergangenen Jahren mehr Dividende, als Gewinn erwirtschaftet worden war, und das bei operativ roten Zahlen. Aktuell wird – wie im ganzen Konzern – über den Abbau von 500 Stellen verhandelt.  (Luise Ungerboeck, DER STANDARD; 19.10.2013)