Wien - Es gibt zu wenig Wissen über die Mechanismen des Menschenhandels. Das ist für die frühere Frauenministerin und ehemalige OSZE-Beauftragte Helga Konrad, seit vielen Jahren im Kampf gegen diese Kriminalitätsform engagiert, eines der Grundprobleme für ein wirksames Vorgehen gegen dieses Verbrechen. Sie forderte am Freitag aus Anlass des EU-Tages gegen den Menschenhandel nationale Berichtsstellen, die vor allem weisungsungebunden sein müssten.

Kein Lagebild über das Gesamtphänomen

Das Problem sei, dass verschiedene in der Bekämpfung engagierte Stellen und Organisationen zwar in kleinen Ausschnitten Informationen über das Problem Menschenhandel bekämen, es aber kein Lagebild über das Gesamtphänomen gebe, so Konrad. Lediglich Schätzungen gebe es, "und die können stimmen oder auch nicht". Und Menschenhandel sei "wirklich das globalisierteste Problem in der Kriminalität", sagte die Expertin. Daher seien diese Berichtsstellen unbedingt nötig, und im übrigen sei das auch kein neues Ansinnen. "Die Forderung steht in europäischen Dokumenten", erklärte die Expertin.

Es gibt dennoch Fortschritte

"Was mich wirklich wundert, ist, dass man sich nicht anschaut, was bringt das, was wir bisher gemacht haben", sagte Konrad. Sie fürchte, dass die Menschenhändler "über das lachen, was wir tun". Die Expertin forderte: "Wir brauchen politisches Leadership." Dann könnte man zunächst diese tatsächlich weisungsungebundenen Recherchestellen finanzieren, um dann "sinnvoll zu überlegen, was macht man". Konrad kritisierte auch, dass bei vielen politisch Verantwortlichen die Angst mitschwinge, Migration anzuziehen, wenn man wirksame Angebote an Opfer von Menschenhändlern mache. Fortschritte im Kampf gegen den Menschenhandel gebe es dennoch, beispielsweise in der Gesetzgebung.

Das bestätigte Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle Menschenhandel im Bundeskriminalamt (BK). Seit 1. August sei die EU-Richtlinie gegen Menschenhandel in Österreich umgesetzt. Er machte darauf aufmerksam, dass Opfer von Menschenhändlern nur zum kleineren Teil auch eine Frage der Asylpolitik seien. "Wir haben zum Beispiel 6.200 legal arbeitende Prostituierte in Österreich. Dazu kommen nach Schätzungen 3.000 bis 4.000 nicht registrierte. Von den registrierten kommen 30 Prozent aus Rumänien, 25 Prozent aus Bulgarien. Danach kommen Bürgerinnen anderer EU-Staaten wie Polen, Ungarn, der Slowakei oder Tschechien. Erst danach kommen zum Beispiel Nigerianerinnen."

Zwangsprostitution: Kaum Zahlen

Wie viele der Sexarbeiterinnen gezwungen werden, diesen Beruf auszuüben, darüber gibt es nur Mutmaßungen. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Frauenorden, hatte dieser Tage von Schätzungen gesprochen, dass in Wien bis zu 90 Prozent der Prostituierten unter Zwang arbeiten. Tatzgern vermutet, dass diese Zahl sehr hoch gegriffen ist. Es sei aber auch eine Frage der Definition von Zwang.

Ein Anhaltspunkt ist Tatzgern zufolge eine Studie von Streetworkern, für die einige 100 Frauen befragt wurden, ob für sie alle der drei folgenden Faktoren zutreffen:

  1. Können sie jederzeit ohne Konsequenzen (ausgenommen wirtschaftliche) mit der Sexarbeit aufhören?
  2. Leben sie nicht mit einem Mann zusammen, der keiner Beschäftigung nachgeht?
  3. Können sie das gesamte Geld, das sie mit der Sexarbeit erwirtschaften, behalten?

Der BK-Experte: "Bei 80 Prozent der Befragten traf zumindest einer der Faktoren nicht zu."

Im Vorjahr 103 Opfer identifiziert

Einige Zahlen der Kriminalstatistik: Im Vorjahr wurden 180 tatverdächtige Menschenhändler im Bereich der Prostitution angezeigt, 2011 waren es 141. Außerdem identifizierten die Ermittler 103 Opfer im Vorjahr, 2011 waren es 70. Diese Zahlen entstehen unter äußerst schwierigen Umständen: Erst Mitte September wurde im Zuge der Ausstrahlung einer "Tatort"-Folge zu dem Thema bekannt, dass in Wien nur sechs speziell ausgebildete Beamte gegen diese Kriminalitätsform vorgehen können und dass auch im BK die personelle Dotierung alles andere als üppig ist.

Vor allem Frauen Opfer von Menschenhandel

Unterdessen machte Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) am Freitag darauf aufmerksam, dass im Menschenhandel vor allem Frauen die Opfer seien, die sexuell ausgebeutet würden und oft massive Gewalt erfahren. Ab kommendem Jahr betreibe der Verein LEFÖ die von Bundeskanzleramt und Innenministerium neu ausgeschriebene Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel (IBF).

"LEFÖ betreibt die Interventionsstelle und betreut seit 15 Jahren alle Opfer von Frauenhandel. Das mehrsprachige Team bietet nicht nur soziale und rechtliche Beratung, sondern auch Unterstützung beim Zugang zu einer Arbeit", erklärte die Frauenministerin. "Demnächst wird auch eine zweite Notwohnung für betroffene Frauen eröffnet", kündigte Heinisch-Hosek an. (APA, 18.10.2013)