Amerikanische Innenpolitik ist zwar etwas verrückt, aber doch nicht völlig wahnsinnig. Das ist die Schlussfolgerung, die man aus dem Drama der vergangenen drei Wochen in Washington ziehen kann. Die größte Volkswirtschaft der Welt bleibt zahlungsfähig, die Verwaltung kann wieder arbeiten, und die Schäden für Finanzmärkte und Volkswirtschaft dürften sich trotz aller pessimistischen Schätzungen in Grenzen halten.

Dabei hätte es auch ganz anders ausgehen können. Die Republikaner sind erst gegenüber der Obama-Regierung eingeknickt und haben auf praktisch alle ihre Forderungen verzichtet, nachdem sich die Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus auf keinen gemeinsamen Gesetzesentwurf mit härteren Bedingungen einigen konnte. Hätte John Boehner seine Truppen zusammengehalten, dann wäre das Tauziehen um die Anhebung der Schuldengrenze über den Donnerstag hinausgegangen. Dann hätte man gesehen, ob sich die Schreckensszenarien der Märkte tatsächlich bewahrheiten.

So wissen wir immer noch nicht, ob die Weltwirtschaft am Mittwochabend am Abgrund stand - und werden es wahrscheinlich nie erfahren. Obwohl der vom Senat ausgehandelte Kompromiss nur bis Jänner und Februar hält, ist es unwahrscheinlich, dass die Republikaner es noch einmal wagen, mit der Schuldengrenze zu hasardieren. Zu steil war ihr Absturz in den Meinungsumfragen, zu schmerzhaft die politische Niederlage. Das wäre eine gute Nachricht für die Finanzmärkte.

Nun würde man glauben, dass die Republikaner zur Besinnung kommen und Boehner von der unsinnigen Regel abgeht, nur dann über Gesetze abstimmen zu lassen, wenn es eine "Mehrheit in der Mehrheit" gibt. In der Nacht zum Donnerstag hat die Mehrheit der Fraktion gegen die Einigung und für den Staatsbankrott gestimmt.

Als De-facto-Parteichef kommt Boehner aus der Konfrontation sogar gestärkt heraus, denn er hatte vor dem Totalangriff auf Obamacare gewarnt und dennoch mutig den Kampf für seinen rechten Flügel geführt. Aber das heißt nicht, dass er den offenen Bruch mit der Tea Party wagen und eine Koalition aus moderaten Republikanern und Demokraten zimmern wird.

Und auch die rechten Heißsporne werden sich nicht geschlagen geben. Selbst in der Niederlage sehen sie sich als Sieger. Ihr Denken wird nicht von langfristigen Strategien bestimmt, sondern von kurzfristigen Chancen auf Wiederwahl. Nun hoffen sie, in erzkonservativen Wahlbezirken für ihre Standfestigkeit gefeiert zu werden.

Deshalb ist kein Ende der dysfunktionalen amerikanischen Innenpolitik zu erwarten. Die Chancen, dass der neuen Budgetkommission ein großer Kompromiss gelingt, der eine Steuerreform, eine langfristige Eindämmung der Sozialversicherungsausgaben und eine Korrektur der durch den automatischen "Sequester" verursachten schädlichsten Ausgabenkürzungen beinhaltet, sind so gut wie null.

Daher kann sich auch Obama über seinen Sieg nur bedingt freuen. Erst wenn ihre Radikalopposition die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus kostet, könnte sich der Würgegriff der Tea Party auf Partei und Nation lösen. Doch damit ist bei den Kongresswahlen 2014 noch nicht zu rechnen. Vielleicht bringen eine weitere verlorene Präsidentenwahl und eine Neuordnung der Wahlbezirke durch die Bundesstaaten eine Wende. Bis dahin bleibt die Vernunft in Washington wohl Mangelware. (Eric Frey, STANDARD; 18.10.2013))