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Fahnen schwingen und fidel verschweizern? Ist das ein Ausweg für Österreichs Politik?

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Martin Zimper: Konkordanz bringt Rosen.

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Als Auslandsösterreicher, der in der Schweiz lebt und arbeitet, rege ich an, einmal nicht nach Deutschland, sondern in die Schweiz zu blicken. Das erfolgreiche Schweizer Regierungsmodell heißt "Bundesrat" und ist einzigartig in der europäischen Verfassungsentwicklung. Das Parlament wählt die sieben Mitglieder der Regierung, die Bundesräte, in getrennten Einzelabstimmungen und achtet dabei vor allem auf die Persönlichkeit der jeweiligen Kandidaten. Bewährte Mitglieder werden auch nach parlamentarischen Neuwahlen wieder in die Regierung berufen.

Die Schweizer Verfassung will dem Kollegialorgan Bundesrat eine Art unangefochtene Stellung über dem Getümmel der Parteien zukommen lassen, erklärt Volker Reinhardt im Buch Kleine Geschichte der Schweiz.

Der Bundesrat bemüht sich in seinen Sitzungen um Konsens, hat aber kein Einstimmigkeitsprinzip. Ist eine Entscheidung einmal getroffen, wird diese von allen Bundesräten mitgetragen und nach außen argumentiert. Ein Streit zwischen Bundesräten dringt ganz selten in die mediale Öffentlichkeit.

Obmänner oder Obfrauen der Parteien agieren meist als Klubobmann oder Klubobfrau im Parlament und sind nicht in der Regierung. SVP-Parteichef und Bundesrat Christoph Blocker (SVP) war eine Ausnahme - und scheiterte prompt nach einer Legislaturperiode.

In der Schweiz existieren keine Koalitionsabkommen. Die einzelnen Bundesräte schlagen für ihre Ressorts sachliche Lösungen vor und bemühen sich dann im Parlament um die notwendige Zustimmung für die jeweiligen Gesetzesvorlagen, die der Bundesrat als Kollegialorgan ans Parlament weiterleitet.

Gelebter Parlamentarismus ...

Den in Österreich beliebten Automatismus, dass beispielsweise der SP-Parlamentsklub die Gesetzesvorlagen eines SP-Regierungsmitglieds meist unwidersprochen durchwinkt, gibt es in der Schweiz nicht. Die Schweizer Bundesräte müssen auch vor ihren eigenen Parteien ihre Anliegen und Pläne argumentieren. Gelebter Parlamentarismus eben, den Österreich bisher schmerzlich vermissen lässt.

Das freiwillige, nicht in der Verfassung verankerte "Konkordanzprinzip" sorgt für die Zusammenstellung des Bundesrats. Der Bundesrat soll personell die verschiedenen Sprachregionen der Schweiz repräsentieren und mindestens vier Parlamentsparteien (meist drei mittlere, eine kleine Partei).

... und Österreich?

Wie könnte man ein solches Modell auf Österreich im Jahr 2013 umlegen?

  • Erstens: Die durch die Regierung repräsentierten Parteien sollten gemeinsam mindestens über eine Zweidrittelmehrheit verfügen. Dies erleichtert notwendige Verfassungsänderungen, um Österreich von Grund auf zu erneuern.
  • Zweitens: In der Regierung sitzen nicht Parteichefs, sondern konsens- und lösungsorientierte Staatspolitiker, die aus dem Personalreservoir der Parlamentsparteien kommen. Sie bemühen sich um Kompromisse und denken bei ihren Vorlagen auch an die Rechte von Minderheiten. Kurz: Die Minister kommen zwar aus den Parteien, schweben aber ab ihrer Bestellung staatsmännisch über ihnen. Die Regierung ist kein Spielfeld für aggressive Ideologen, egozentrische Primadonnen und selbstherrliche Parteikaiser.
  • Drittens: Die Regierung tagt als Kollegialorgan ohne Einstimmigkeitsprinzip und kommuniziert einmal getroffene Mehrheitsentscheidungen seriös gemeinsam nach außen.
  • Viertens: Jedes Jahr übernimmt ein anderes Regierungsmitglied das Amt des Bundeskanzlers - für jeweils ein Jahr (in der Schweiz agieren die Bundesräte als Bundespräsident im jährlichen Wechsel, Anm.).
  • Fünftens: Die Parteiobleute präsentieren ihre Grundsätze in parlamentarischen Debatten und nicht in der Regierung. Das Wechselspiel zwischen Regierung, Nationalrat und Bundesrat bringt eine lebendigere Demokratie als bisher.

Gemeinsame Suche

Demokratie heißt eben nicht "Einer schafft an!", sondern die gemeinsame Suche nach der bestmöglichen Lösung.

Bundespräsident Heinz Fischer hätte es jetzt in der Hand, dieses Modell mit den gewählten Parteien ernsthaft zu diskutieren und als "Schweizer Experiment" umzusetzen.

Er sollte eine Regierung ohne ein Koalitionsabkommen bestellen, deren Mitglieder mindestens vier Parlamentsparteien und die österreichischen Regionen ausgewogen repräsentieren. Beispielsweise eine Regierung unter Beteiligung der SPÖ, der ÖVP, der Grünen und der Neos.

Es müsste dem amtierenden Bundespräsidenten gefallen, dass dieser Vorschlag komplett ohne eine Einführung direkter Demokratie auskommt, vor der er immer wieder warnt. Diese könnte ein späterer zweiter Schritt einer Verschweizerung der österreichischen Politik sein.

Beste Köpfe

Aber bereits der erste Schritt wäre ein Weg aus der innenpolitischen Sackgasse und führt unmittelbar zu einem frischeren Parlamentarismus und zu einer Regierung der besten Köpfe. (Martin Zimper, DER STANDARD, 18.10.2013)