Ärzte dürfen nur noch 25 Stunden arbeiten, Patienten müssen mit längeren Wartezeiten rechnen.

Foto: Der Standard/Newald

Wien - Eine neue Betriebsvereinbarung über die Ärztedienstzeiten an den Wiener Universitätskliniken (Med-Uni Wien) führt zu Engpässen in der Patientenversorgung und kann längere Wartezeiten und geringere Behandlungskapazitäten an Österreichs Spitzenklinik bedeuten. Maßgebliche Klinikchefs beklagen einen katastrophalen Personalmangel. Rektor Wolfgang Schütz hingegen sieht vorübergehende "Defizite".

"Mir tut es leid, dass dieses wunderbare Spital vor die Hunde geht. Dieses Spital wird heruntergewirtschaftet", erklärte Peter Husslein, Vorstand der Universitäts-Frauenklinik der Med-Uni Wien im AKH. "Ich sehe keine Gefahr. Das höhere Gut sind ausgeruhte Ärzte. Wir hoffen, das jetzige Defizit (an verfügbaren Ärzten, Anm.) wieder ausgleichen zu können", sagte hingegen der Med-Uni-Wien-Rektor Wolfgang Schütz, Arbeitgeber der Ärzte an den Wiener Uni-Kliniken (im Endeffekt ist dies aber das Wissenschaftsministerium).

Maximale Arbeitszeit auf 25 Stunden reduziert

Der Hintergrund, so der Rektor: "Wir haben eine neue Betriebsvereinbarung auf der Basis des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes." Damit wird die durchgängig mögliche Arbeitszeit eines Arztes am Patienten von ehemals 32 Stunden auf höchstens 25 Stunden reduziert. Dies betrifft die Nachtdienste. Laut Schütz hätten die Ärzte der Uni-Kliniken im Wiener AKH ehemals bis zu 72 Wochenstunden absolviert. Da wäre mit 32 Stunden Dienst (acht Stunden Tagdienst, 16 Stunden Bereitschaftsdienst/Nachtdienst plus noch einmal acht Stunden Tagdienst) bereits die Frage der Unverantwortbarkeit entstanden.

Die neue Betriebsvereinbarung gilt seit 1. September 2013. Der Wiener Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres, ehemals selbst Betriebsrat, bezeichnete die Grundsätze der neuen Vereinbarung als gut - vor allem, weil damit annehmbare Dienstzeitenregelungen verbunden und auch Platz für Forschung sei.

Leere Operationssäle

Doch die von allen Betroffenen auch zugegebene Kehrseite ist der offensichtliche ärztliche Personalmangel an den Wiener Universitätskliniken - vor allem zu den "Stoßzeiten" am Vormittag. Der Grund: Mit der Betriebsvereinbarung geht jeder Arzt nach einem Nachtdienst und Dienstübergabe aus dem "patientenbezogenen Dienst". An der Uni-Klinik bzw. an der Med-Uni Wien soll und kann er dann seine Forschungsarbeit bzw. die Lehre betreiben. Bisher gab es an den Wiener Universitätskliniken 173 Ärzte im Nachtdienst.

Freilich, genau diese Mediziner fehlen am Tag nach dem Nacht- bzw. Bereitschaftsdienst für die Patientenversorgung. Das Beispiel der Wiener Universitäts-Frauenklinik, eine der größten Entbindungskliniken: Es gibt jede Nacht neun diensthabende Ärzte. Sie fallen am nächsten Vormittag aus. Die Anästhesie hat laut einem Klinikchef 24 diensthabende Ärzte in der Nacht - und die fehlen dann ebenfalls jeden Tag. Die Kritik eines der maßgeblichen Klinikchefs: Es stehen beispielsweise Operationssäle leer, Operationen werden verschoben.

Flugblätter auf Onkologie verteilt

"Unter den voraussichtlich ab Herbst gegebenen Umständen sehen wir uns allerdings zur Aufrechterhaltung der notwendigen Qualität der Patientenbehandlung gezwungen, die Zahl der in unserer Klinik behandelten Patienten mit Implementierung der neuen Betriebsvereinbarung deutlich zu reduzieren", schrieb bereits im Juni dieses Jahres der Chef der Uni-Klinik für Strahlentherapie, Richard Pötter, in einer E-Mail an die Wiener Klinikchefs. Die Angelegenheit hat besondere Brisanz wegen des in einer europäischen Vergleichsstudie von "Lancet Oncology" eindeutig erhobenen Defizits von 20 Prozent bei den Strahlentherapie-Kapazitäten für Krebspatienten in Österreich.

Zu einer aufsehenerregenden Aktion gerade unter besonders Betroffenen - Krebspatienten - kam es am Dienstag dieser Woche rund um die mit jährlich rund 7.000 Patienten frequentierten Tageskliniken der Klinischen Abteilung für Onkologie der Universitätsklinik für Innere Medizin I. Ausgerechnet dort, wo einerseits auch komplexe Chemotherapien und Behandlungen im Rahmen der modernsten zielgerichteten und individualisierten Krebsbehandlung möglichst patientenfreundlich und kostensparend (keine stationäre Aufnahme) erfolgen, wurden Flugblätter mit eher alarmierendem Inhalt verteilt.

"AKH geht den Bach runter"

"Bisher ist es uns nicht gelungen, die äußerst restriktive Personalpolitik des Rektorats der Medizinischen Universität in Hinblick auf die Zuteilung von Ärztestellen durch organisatorische Maßnahmen seitens der Klinikleitung zu kompensieren. Dementsprechend kann es heute und wahrscheinlich in Zukunft zu deutlichen Verzögerungen in Ihrer Versorgung kommen", hieß es da. 

Unter den Spitzenmedizinern der Wiener Uni-Kliniken herrscht offenbar Beunruhigung und tiefe Besorgnis. Ein Klinikchef: "Es fehlen 15 bis 20 Prozent an Kapazitäten bei den Ärzten." Ein anderer Klinikchef bestätigte die Aussagen Peter Hussleins über eine immer schlechter werdende Situation: "Das AKH geht den Bach runter. Die medizinischen Standards sind wegen der neuen Dienstregelungen längst verlassen."

Husslein: "Das System zerbröselt"

Med-Uni-Wien-Rektor Wolfgang Schütz hatte am Dienstag eine Aussprache mit mehreren Abteilungsleitern. Dies bestätigte er. Man arbeite daran, "das jetzige Defizit wieder auszugleichen". Dies sei bis 1. März kommenden Jahres geplant.

Der Kernpunkt seien Management-Maßnahmen ohne Erhöhung der Geldmittel für Ärzte durch das Wissenschaftsministerium, so der Rektor: "Wir haben rund 1.500 Ärzte. Es gibt derzeit 173 Nachtdienste. Es wird geprüft, ob man zehn bis 15 Prozent (der Nachtdienste, Anm.) einsparen könnte. Diese Ärzte wären dann am nächsten Tag da." Zusätzlich wolle man den Ärztestand insgesamt erhöhen: "Wir werden nicht eins zu eins zur alten Situation gelangen. Aber ich sehe keine Gefahr." Ausgeruhte Ärzte in der Patientenbetreuung seien wichtiger als unausgeruhte im Dauerdienst.

Im Hintergrund werden von den kritisch eingestellten Klinikchefs der Med-Uni Wien auch die gesamten Rahmenbedingungen an der Universität beklagt. An den Universitätskliniken und somit im AKH solle Lehre, Forschung und Spitzenmedizin betrieben werden. Für die Gemeinde Wien seien sie eben ein "Allgemeines Krankenhaus". In der Mediziner-Ausbildung solle bei mehr Studenten in Kleingruppen gelehrt werden. Die Qualitätszertifizierung des Krankenhauses koste Personal. Und, so ein Abteilungsleiter: "Die Patienten werden anspruchsvoller. Wir haben mehr Patienten, die sich beschweren. Das kostet auch Personal. Dabei wird die Zahl der Stellen reduziert, und wir haben die neue Betriebsvereinbarung - noch dazu."

Husslein zog folgende Bilanz: "Das System zerbröselt. Wir sind vor 25 Jahren in das Neue AKH eingezogen. Es ist einleuchtend, dass man es generalsanieren und Reinvestitionen von 1,5 Milliarden Euro tätigen muss. So kann es nicht weitergehen." Statt ein neues "Krankenhaus Nord" zu bauen, sollte die Gemeinde Wien besser darauf achten, die Universitätskliniken und somit das AKH nicht zu vernachlässigen. Der Gynäkologe: "Es ist jedem in Wien zuzumuten, über die Gürtelbrücke ins AKH zu fahren. Die Patienten in Wien wollen das AKH." Man müsse die Wiener über die Zustände aufklären. (APA, 17.10.2013)