-> Die Bilder vom Aufstieg gibt's in einer Ansichtssache.

Foto: Michael Dellantonio, Armin Klauser

Die Große Zinne ist das Ziel von Michael Dellantonio und seinen Freunden. Dafür nahmen und nehmen Bergsteiger aus aller Welt schon größere Strapazen auf sich. Die Bergtour lohnt sich, denn die Aussicht von oben ist atemberaubend.

Einmal oben sein

Ich komme spät am Freitagabend mit dem Zug von Zürich in Innsbruck an, wo ich bei Armin übernachte. Um vier Uhr morgens sitzen wir schon wieder im Auto Richtung Süden. In Brixen treffen wir Lukas und in Bruneck laden wir noch Jan ein, dann sind wir endlich komplett.

Zugegeben, wir versuchen uns nur am Normalweg auf der freundlicheren Südseite des Berges und nicht an der teils überhängenden Nordwand, trotz allem bleibt es für Teilzeitbergsteiger wie uns ein ernstes alpines Unternehmen, das wir für diesen Samstag im Oktober geplant haben.

Für diese Jahreszeit herrschen ausgesprochen gute Bedingungen: Es liegt noch kein Schnee am Berg und die Temperaturen sind angenehm.

Auf dem Parkplatz bei der Auronzohütte auf gut 2.300 Meter haben einige Fotografen Ihre Stative aufgebaut, um den Sonnenaufgang an diesem klaren Tag einzufangen. Schnell sortieren wir unser Material und wandern auf dem breiten Weg Nr. 101 zur Drei Zinnen-Hütte bis zu einer kleinen Kapelle. Noch sind wir fast alleine, aber bald wird dieser Weg von Touristen überschwemmt sein, die alle einen Blick auf die berühmten Nordwände der "Drei Zinnen" werfen wollen.

Bei der Kapelle folgen wir einem unmarkierten Steig zur markanten Scharte zwischen der Großen und der Kleinen Zinne. Ein tiefer Kamin auf der linken Seite weist uns schließlich den Einstieg zum Normalweg.

Wir genießen die ersten Sonnenstrahlen und die mit ihnen aufkommende, ausgelassene Stimmung beim Verteilen der Ausrüstung. Wir hadern, wie bei jeder Tour, mit dem Seilwirrwarr und schämen uns beim Anblick des ganzen High-Tech gegenüber der Ausrüstung der Erstbesteiger Franz Innerkofler, Peter Salcher und Paul Grohmann. Die drei haben gut 140 Jahre vor uns, im August 1869, mit weitaus dürftigeren Mitteln und ohne Führerliteratur die Große Zinne auf dem gleichen Weg erklettert.

Wir steigen in den düsteren, etwas bedrohlich wirkenden Kamin ein. Ein großer Felsblock zwingt uns bald, in die linke Flanke auszuweichen. Der Fels ist angenehm zu klettern und so erreichen wir die erste Scharte.

Vier Kletterer, vier Meinungen

Als erste Seilschaft an diesem Tag ist es nicht einfach, hier den richtigen Weg zu finden. Wir sind zu viert und entsprechend gibt es vier verschiedene Meinungen, wie das Topo wohl zu interpretieren ist. Nach eingehender Diskussion und einigen ergebnislosen Versuchen finden wir doch noch den richtigen Weiterweg. Im brüchigen Schrofengelände wechseln sich kurze Kletterpassagen mit Gehgelände ab.

Oberhalb des breiten Schuttbands steigen wir in die Schlüsselstelle ein: ein kurzer Kamin in der Schwierigkeit vier minus, der Fels abgelutscht von tausenden Bergschuhen. Im richtigen Moment bieten aber zwei Klemmblöcke etwas Halt. Schöne, etwas ausgesetzte Kletterei führt uns auf das obere Ringband, dem wir nach Westen folgen.

Eine Rampe hoch, noch zwei kurze Kamine und wir stehen am Gipfel: 2.999 Meter über dem Meer. Die klare Herbstluft ermöglicht uns den Blick auf ein Panorama vom Großglockner im Osten bis zum Ortler im Westen, vom Alpenhauptkamm im Norden bis zu den Ausläufern der Dolomiten im Süden. (Michael Dellantonio, derStandard.at, 22.10.2013)