Noch halten sie Händchen: Matt Damon und Michael Douglas als schwules Liebespaar in Steven Soderberghs "Liberace".

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Wien - Die ungewöhnliche Liebesgeschichte beginnt mit einem blinden Pudel. Das Tierchen gehört zur Entourage des schillernden Las-Vegas-Pianisten und Entertainers Liberace, und Scott Thorson, ein junger, etwas naiver Mann (und Fan) mit einer Hand für Hunde bietet seine Hilfe an. Beim nächsten Besuch im mit allerhand Fake-Rokoko-Möbeln angemüllten Musikerpalast bleibt Thorson bereits über Nacht. Etwas starr liegt er neben dem rund vierzig Jahre älteren Mann im Bett. In der Früh erwacht er mit dessen glücklich leuchtendem, faltigem Gesicht vor Augen. Es ist ein komischer, aber auch ein erster bedrohlicher Moment in Liberace: Die Tore des goldenen Käfigs schließen sich leise.

Steven Soderberghs eigentlich für den TV-Sender HBO produzierter Film - der Regisseur hat sich vom Filmgeschäft verabschiedet - lebt von dieser Ambivalenz der Gefühlslagen zwischen zwei Männern, die eine schwierige Beziehung eingehen: Würde man von Schieflagen sprechen, es wäre eine Untertreibung. Der von Michael Douglas verkörperte Liberace ist ein geschickter Verführer, aber eben auch ein Ungeheuer in seinem Besitzanspruch.

Dem Waisenkind Scott Thorson (Matt Damon) will er nicht nur Liebhaber sein, sondern auch väterliche Bezugsperson. Doch das Kind soll seinem Schöpfer gleichen. Das hat etwas von der Abgründigkeit eines Grimm'schen Märchens: Liberace kleidet seinen Lover neu ein, später lässt er ihn sogar von einem plastischen Chirurgen (großartig: Rob Lowe als lebende "Ken"-Puppe) nach seinem Ebenbild umgestalten.

Die Problematik des Films, seine Einengung auf das zentrale Paar, ist zugleich seine größte Attraktion. Alle Scheinwerfer sind auf die beiden Hauptfiguren gerichtet, die von zwei Stars mit sichtbarer Freude an der Anverwandlung verkörpert werden, wobei Damon fast ein wenig mehr beeindruckt. Er entwickelt sich vom feisten Backfisch zum drogensüchtigen, verzweifelten Liebenden, der die Gunst von Liberace immer mehr verliert.

Angst vor dem Karriereende

Soderberghs Binnenperspektive auf diese exzentrische Männerbeziehung wäre aber nur halb so interessant, ginge es bloß um die private Dimension eines "Ehedramas", das in der zweiten Hälfte des Films immer mehr eskaliert. Die größere, gesellschaftliche Tragweite der Geschichte liegt darin, dass Liberace eine öffentliche Figur ist und sein Geoutetwerden als Homosexuelller zeitlebens auch juristisch zu verhindern trachtet - aus der berechtigten Angst heraus, es würde das Ende seiner Karriere bedeuten.

Kein wahres Leben im falschen also, auf mehreren ineinandergreifenden Ebenen: Soderbergh antwortet darauf mit der Darstellung einer Persönlichkeit, die nicht die Ausschweifung lebt, sondern ihre Sehnsucht nach einem freien Dasein als Homosexueller mit einer ausufernden Inszenierung des Selbst überkompensiert.

Behind the Candelabra, "hinter dem Kerzenständer", lautet so auch der Originaltitel des Films. Einen solchen hatte der Entertainer bei Konzerten auf seinem Konzertflügel stehen. Aber eigentlich gibt es gar kein Dahinter, nichts nachzuweisen außer einer dominanten Mutter - und damit auch keinen wahren Liberace außer diesen alten, kahlköpfigen Mann, den Thorson einmal ohne Perücke vor dem Spiegel ertappt.

Soderbergh, der schon immer ein besserer Stilist des Kinos als Erzähler war, stattet dieses Drama so auch eher reizvoll aus, anstatt es zu durchleuchten. Er steckt es selbst in mit Kristallen besetzte Anzüge und Uniformen, akzentuiert es mit einer (von ihm selbst unter dem Pseudonym Peter Andrews geführten) gleitenden Kamera, setzt am Anfang auch ein paar Pointen zu viel.

Dass der Film dennoch zu faszinieren vermag, liegt an der Konsequenz, mit der Soderbergh den narzisstischen Kern Liberaces freilegt. Thorson sieht in ihm durchaus mehr als einen besessenen Star. Aber er muss miterleben, wie viel mehr Aufmerksamkeit und Engagement dieser seinem ersten Auftritt bei der Oscar-Verleihung entgegenbringt als dem ernsthaften Versuch, ihre Beziehung noch einmal zu retten. Der Entertainer wird bei der Gala nicht enttäuschen, aber die üppigste Einlage erträumt sich Thorson. Vielleicht ist dieser Film, den Soderbergh in Hollywood nicht realisieren konnte, insgeheim doch seine Abrechnung mit der Traumfabrik. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 17.10.2013)