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Die Ärmsten der Armen in Kairo konnten bisher auf die Hilfe der Muslimbrüder zählen. Das wird zunehmend problematisch.

Foto: AP/Ammar

Tausende warten vergeblich auf ihre mobilen Kliniken und andere Hilfen. Die Anti-Muslimbrüder-Kampagne trifft aber auch unabhängige Hilfsorganisationen.

Frau Dr. Maha fährt nicht mehr mit der mobilen Klinik durch das Land. Die Muslimbrüder haben diesen Service einstellen müssen. Das ist eine der Folgen ihrer Unterdrückung, aber nicht die einzige. Tausende arme Familien haben zu Beginn des Schuljahres vergeblich auf die Verteilung von Schultaschen und Schreibzeug gewartet, weiß die Kardiologin, sie ist selbst bei den Muslimbrüdern.

Auch der Verkauf von preisgünstigem Fleisch zum Opferfest ist diese Woche weitgehend ausfallen. Grund ist nicht nur das drohende gerichtliche Verbot, sondern auch die mangelnde Sicherheit: Es herrscht eine ständige Gefahr, von Gegnern der Muslimbrüder angegriffen oder von der Polizei verhaftet zu werden. Dazu kommt Geldmangel. Viel Geld wird jetzt dazu verwendet, die Familien der Toten und Verwundeten der vergangenen Wochen zu unterstützen.

Kein einheitliches Etikett

Die Ärztin, Mutter von vier Kindern, stieß vor 15 Jahren zu den Muslimbrüdern. Kollegen aus dem Spital hatten gefragt, ob sie in einer mobilen Klinik mithelfen wolle. Dieses soziale Engagement hat die Tochter aus einer gutsituierten Familie von Mubarak-Getreuen dazu bewogen, selbst der Organisation beizutreten.

Spitäler und Kliniken sind seit der Gründung der Muslimbrüder vor mehr als 80 Jahren ein wichtiger Pfeiler des Netzwerkes von sozialen Einrichtungen im Land. Die sind jetzt von der Schließung bedroht. Ein Gericht in Kairo hat in erster Instanz alle Aktivitäten der Muslimbrüder und der mit ihr verbundenen Organisationen verboten und ihre Finanzen der Regierungskontrolle unterstellt. Diese sozialen Einrichtungen sind nicht keine juristische Einheit mit einem einheitlichen Muslimbrüder-Etikett. Kliniken sind oft Moscheen angeschlossen; mehr als zwei Dutzend Spitäler betreibt etwa die Islamische Medizinische Vereinigung. Schulen werden oft von reichen Familien gegründet, die den Muslimbrüdern angehören oder ihnen nahestehen.

Die Mitglieder sehen die sozialen Dienste als natürliche Dimension des islamischen Glaubens. Es sei nicht Hilfe, sondern ein Bestandteil der islamischen Lebensweise, erklärte vor einiger Zeit Abdel Moneim Abdul Futouh, damals noch prominentes Führungsmitglied, in einem Interview. Inzwischen hat er mit den Muslimbrüdern gebrochen. Er schätzte damals, dass etwa ein Fünftel der beim Sozialministerium registrierten NGOs von Muslimbrüdern geführt wird.

Die Organisationen haben in der Regel einen guten Ruf, da sie hochwertige Leistungen, erbracht auch von Uniprofessoren, zu kleinen Preisen anbieten. Eine Untersuchung, für die man in einem privaten Spital 300 Pfund (32 Euro) aufbringen muss, koste bei ihr fünf Pfund, sagt Oberärztin Maha. Millionen sind auf diese Einrichtungen angewiesen. Die Regierung werde es sich deshalb gar nicht leisten können, sie zu schließen, glaubt die Kardiologin.

Seit dem Sturz Mubaraks 2011 arbeiteten die Muslimbrüder offen, was dazu geführt hat, dass ihre Struktur transparenter wurde und jetzt von den Sicherheitsbehörden umso besser aufgespürt werden kann. Sicherheitskräfte haben in den vergangenen Wochen etliche Schulen und Spitäler gestürmt, ihre Einrichtung konfisziert und die Direktoren verhaftet. Die Anschuldigungen lauteten jeweils, es seien Waffen versteckt worden. Ein Vorwurf, den die Muslimbrüder strikt verneinen.

Die Unterstützung der Bevölkerung schlug sich bisher auch in Wählerstimmen nieder. Die Menschen wüssten, wer sich für sie einsetze, meint Dr. Maha, die – wie alle Mitglieder – sieben Prozent ihres Einkommens an die Organisation abliefert.

Seit der Entmachtung von Präsident Mohammed Morsi im Juli und dem Verbot hat das Netz beträchtliche Löcher bekommen. Betroffen von dieser Anti-Muslimbrüder-Welle sind aber auch unabhängige Hilfsorganisationen.

Almosen geben – die "Zakat" – gehört zu den fünf Pfeilern des Islams. Viele Ägypter geben ihre Zakat an Organisationen, von denen manche religiös geprägt sind. Gerüchte machten jetzt die Runde, einige wie Resala, Food Bank oder Orman würden von Muslimbrüdern geführt. Diese dementieren, die negativen Effekte bleiben dennoch spürbar.

Aber auch die schlechtere Wirtschaftslage dürfte zuletzt eine Rolle gespielt haben. Die Mitarbeiterin einer unabhängigen Entwicklungsorganisation zeigte sich im Gespräch mit dem Standard überzeugt davon, dass die schlimmsten Konsequenzen für den karitativen Sektor erst kommen werden. Die Angst, etwas Verbotenes zu tun, könnte alle lähmen.  (Astrid Frefel aus Kairo /DER STANDARD, 15.10.2013)