Pauline Schürz aka "Omsch", eine hundertjährige Wienerin, im gleichnamigen Film von Edgar Honetschläger.

Foto: Stadtkino

Wien - Schon als Student hat Edgar Honetschläger seine Wohnungsnachbarin Pauline Schürz zu seiner "Omsch" erwählt. Die 1907 geborene Wienerin und der Filmemacher haben so in einem Zinshaus in der Wiener Neulinggasse über zwei Jahrzehnte eine kleine Sekundärfamilie gebildet. Irgendwann hat Honetschläger begonnen, die Nachbarin zu filmen, wie nebenher bei gegenseitigen Besuchen. So entstand "Omsch", ein wunderschönes filmisches Dokument dieser Freundschaft, die bis zum Tod von Pauline Schürz 2009 die heiter bis strenge Auseinandersetzung mit dem jeweils anderen suchte.

Omsch selbst, das sieht man gleich, war nicht gemacht für den Part der tattrigen Greisin, auch wenn die hundertjährige Dame immer wieder mit den Gebrechen ihres hohen Alters konfrontiert war. Fluch den Hörapparaten! Omsch war eine Madame von herzhafter Noblesse, in deren grazil-überlegter Ausdrucksweise ein gelebtes Jahrhundert ablesbar wird. Beispielsweise maßregelt sie den jungen Mann elegant, aber nachhaltig in schriftlicher Form, nachdem er sie einmal bei einem Abendessen versetzt hat.

Einverständnis mit der Welt

Zum Geburtstagsfest dreht sie die grauen Haare in Locken und lacht dann über diese spaßige Idee der "Verschönerung". Pauline Schürz ist im Mikrokosmos ihrer späten Lebensjahre zu einem fidel-philosophischen Blick auf die Welt durchgedrungen: Sie birgt ein Einverständnis mit sich und der Welt, welchem Honetschlägers Film aus nächster, aber immer respektvoller Nähe nachspürt.

"Omsch" ist aber nicht das Porträt einer Frau samt ihrer Lebensgeschichte, im Gegenteil: Konkrete Lebensdaten interessieren den Film kaum. Vielmehr erfasst er Umrisslinien davon, was am Ende eines langen Lebens steht: Schimpftiraden auf den Papst; Dankbarkeit für das einem entgegengebrachte Interesse (aber nicht zu sehr); den eigenen Stil bewahren und sich keinesfalls den Bio-Wahn aufschwatzen lassen (warum denn Orangensaft mit Karotten verderben?).

In diesem Widerspiel zwischen Omsch und ihrem Rohkostfreund Honetschläger, der als Regisseur und Kameramann erstaunlich oft selbst ins Bild kommt, entsteht das deklariert offene, ausfransende und auch gestückelte Bild eines besonderen Menschen. Denn die längeren Abwesenheiten des Regisseurs, die an Landschaftsbildern aus der Ferne festgemacht werden, bleiben sichtbar. Der Film betont die Umstände seiner eigenen Gemachtheit. Die Kamera ordnet sich in den meisten Begegnungen dem Alltagsleben unter, sie ist oft nur nebensächlicher Zaungast einer Situation und wird gelegentlich auch weggelegt. Dieses Lowtech-Verfahren hat die tontechnische Herstellung des Films erschwert, und dieser Tatsache ist es wohl auch geschuldet, dass dem Film im Gegenzug allzu viel Musik aufgebürdet wurde. Das hätte er nicht gebraucht.

Omsch überzeugt vor allem durch die Rohheit und "Ehrlichkeit" seiner Machart sowie die erheblichen Qualitäten der Protagonistin. Die räumliche Nähe des Regisseurs zu seiner Hauptfigur gewährte ein ungewöhnliches, famoses Zwischen-Tür-und-Angel-Projekt. Dieses zeigt nicht zuletzt etwas sehr Schönes: zwei den Jahren nach weit entfernte Generationen innig verbunden. Beim Westschweizer Festival von Nyon wurde "Omsch" bereits als "'Harold and Maude' des Dokumentarfilms" gefeiert. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 15.10.2013)