Ihr bleibt kein Unglück erspart: Die geschlagene Moll Hackabout (Diana Damrau) mit dem eifersüchtigen John Lovelace (Christopher Gillett).

Foto: Werner Kmetitsch

Wien - Es beginnt vielversprechend, gar subtil: Zum düsteren Grummeln der tiefen Streicher und Blechbläser wälzen sich Körper im Trockeneisnebel - nur umrisshaft erkennbar winden sie sich in den Fängen Londons. Die Metropole ist in dieser ersten Oper von Iain Bell, A Harlot's Progress, ein seelenverschlingender Moloch, ein alles Humane zersetzendes, dreckiges Schlachtfeld des Frühkapitalismus.

Wie sich die Lumpenträger jedoch erheben und - nun nebelbefreit - in einer Art Verkaufspräsentation Waren feilbieten (glänzend der Arnold Schönberg Chor), beginnt die Operntragödie um Moll Hackabout jedoch zu szenischen Sphären abzutauchen, in denen Regisseur Jens-Daniel Herzog keine Möglichkeit auslässt, das Offensichtliche derb zu unterstreichen und mit grellen Rufzeichen zu versehen.

Das Thema, für dessen Umsetzung Herzog kaum je eine sublime Szenelösung findet, ist selbstredend heftig: Moll kommt hoffnungsvoll nach London, wird von einer Kupplerin (glänzend Marie McLaughlin) eingefangen. Und: Ehe sie sich versieht, wird Moll vom reichen John Lovelace (vokal blass Christopher Gillett) entjungfert, als Besitz in sein Haus geholt und wieder rausgeschmissen. Molls Liebe zu Gauner James Dalton (eindringlich Nathan Gunn) wurde entdeckt.

Es folgen Straßenstrich, Schwangerschaft und Syphilis. Und als sich der geliebte Gauner mit einer Moll-Vergewaltigung nur seine Brutalität betreffend als zuverlässig erweist, stirbt Moll schließlich einsam im Wahnsinn.

Harte Kost, fraglos. Ruft man sich jedoch in Erinnerung, wie etwa Regisseur Alvis Hermanis (bei den Salzburger Festspielen 2012) Zimmermanns Soldaten, wohl auch die Geschichte einer Frauenvernichtung durch verrohte Männlichkeit, subtil Unmittelbarkeit verlieh, wird das Plakativ-Klischeehafte dieser Regiearbeit im Theater an der Wien vollends offensichtlich.

Quasi in Zeitraffer

Das - eine derbe Sprache favorisierende - Libretto von Peter Ackroyd macht es Herzog natürlich nicht leicht. Quasi im Zeitraffer werden die Katastrophenerlebnisse dieses Mädchens durchgepeitscht; keinen Augenblick des Durchatmens gönnt man Moll. Rasant wird die Naive zur Derben und zur Wahnverseuchten, die Idylle nur noch makaber daherfantasieren kann. Da geht das Libretto entschieden zu ungeduldig vor; dem Figurenwandel bleibt so kaum Entwicklungszeit.

Doch muss am Ende unbedingt einer mit dem Holzsarg, in dem Moll liegt, kopulieren? Muss eine intensive Szene auch noch mit einem Rammel-Marathon am Bühnenrand "verziert" werden? Herzog kann davon nicht genug bekommen. Und letztlich ist das Werk - dessen Inhalt sich in einer Art Bretterverschlag (Bühnenbild: Mathis Neidhardt) abspielt - zu schwach für Gegenwehr.

Lange Zeit vor allem die Musik: Iain Bell schreibt elegant-abstrakte Linien für Stimmen (auch für die glänzende Tara Erraught als Kitty); orchestral wirkt seine Kunst jedoch zunächst zu asketisch und hüpft von Schablone zu Schablone. Da grummelt die Tuba, da interveniert die Harfe, da zirpen die hohen Streicher. Doch der Orchesterpart (bei den Wiener Symphonikern unter Mikko Franck in guten Händen) verharrt in abwartender Position oder wälzt sich undramatisch dahin, um nur aufzuwachen, so es rhythmisch ins Repetitive geht.

Geweitete Tonalität

Grundsätzlich herrscht geweitete Tonalität vor; Bell liebt dabei Reibungen, die durch kleine Sekunden entstehen, er kann es aber auch kitschig. Ein wenig erwacht das Orchestrale nach der Pause: Da zeigt Bell, dass er adagioartige wie auch tumultuöse Strukturen (auch das Finale vor der Pause zeigte es) erschaffen kann, welche die Handlung atmosphärisch erheben und Szenen beleben.

Und bei Molls Wahnsinnsszene gelingt Bell Eindringliches, Momente der Intimität, während derer das Orchester mitunter verstummt. Was immer man jedoch Positives findet - die Oper wird von Diana Damrau am Leben gehalten. Als Moll vollführt sie eine Glanzleistung der Selbstentäußerung und der vokalen Reife. Hier sind dramatische Höhen in herber Pracht zu hören; hier entfaltet sich das Pianissimo ungefährdet. Und dies alles - samt Melismen und Koloraturen - meistert Damrau über die gesamte Werkstrecke mit nie abebbender Eindringlichkeit und Wandlungsfähigkeit. Dazu noch der Mut zum körperlichen Grenzgang - Kompliment!

Applaus für alle, nur für Bell ein Buh. Er sollte sich nicht grämen, eher Zeit finden, den orchestralen Part des ersten Teils dramatischer, opulenter zu gestalten und das Ganze von einem fantasievollen Regisseur inszenieren lassen. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 15.10.2013)