Ein Schlüsselwerk der jungen russischen Kunst: Olga Chernysheva entdeckt in den winterlichen Hauben von Frauen blütenartige Formen - und damit ein Stück Poesie im Alltag.

Foto: Albertina

Wien - Eigentlich handelt es sich um eine bloße Kunstsammlung, die als Viennafair-Rahmenprogramm am Freitag in der Albertina präsentiert wurde. Doch "Dreaming Russia" war anders: Vor dem Museum demonstrierte Greenpeace, und drinnen fehlten einige Arbeiten nach Protesten eines Künstlers.

Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder verließ fluchtartig seine eigene Eröffnung, und Vertreter der Gasprombank, die ihre Sammlung das allererste Mal öffentlich vorstellten, sprachen weder bei der Pressekonferenz noch bei der Eröffnung. Dabei spielt die Stadt für den mächtigen Bankchef aus Moskau eine äußerst wichtige Rolle - Andrej Akimow hatte zwischen 1987 und 2002 in Wien gearbeitet.

Für die Albertina, die sich auch mit einem russischen Freundesverein unter Vorsitz von Viennafair-Besitzer Dmitry Aksenov hinkünftig stärker mit Russland beschäftigen und vermehrt auch russische Besucher ansprechen möchte, darf die Schau als kleiner Crashkurs gelten: Russland zeichnet sich nicht nur durch ein hohes künstlerisches Potenzial und liquides Kapital aus, das auch Kunstinstitutionen zugutekommen kann.

Kollateralschäden

Gleichzeitig besteht ein hohes politisches Risiko: Die Gasprombank ist ein Tochterunternehmen des Gaspromkonzerns, gegen dessen Ölplattform Priraslomnaja Greenpeace kürzlich im Nordpolarmeer protestiert hatte. 30 Umweltaktivisten soll nun in Murmansk wegen Piraterie der Prozess gemacht werden - es drohen 10 bis 15 Jahre Haft.

Die Angelegenheit, in der Gasprom eine zentrale Rolle spielt, droht sich für Russland zu einem internationalen PR-Fiasko mit unabschätzbaren Kollateralschäden zu entwickeln.

Letzte Woche betraf es durchaus qualitätsvolle Kunst. Kuratiert von Elsy Lahner, zeigt "Dreaming Russia" 13 künstlerische Positionen und vermittelt einen prägnanten Überblick über zeitgenössisches Kunstschaffen in Russland. Mit "In Erwartung eines Wunders" ist etwa ein Schlüsselwerk von Olga Chernysheva zu sehen: Die prominente Moskauer Künstlerin hatte seinerzeit auf der Straße in winterlichen Kopfbedeckungen von Frauen eine unerwartete Poesie des Alltags entdeckt: Ihre Schnappschüsse zeigen Hauben, die an Knospen erinnern und jeden Moment zu blühen beginnen könnten.

Gesichter am Küchenboden

Genau beobachtet hat auch Vadim Zakharov - der diesjährige Vertreter Russlands bei der Biennale von Venedig fotografierte seinen Küchenboden und erkannte in vergrößerten Details 27 verschwommene Gesichter, die er in seiner Arbeit in den Kontext von Nikolai Gogols unvollendetem Roman "Die toten Seelen" rückt. Das Verfahren erinnert dabei an jene Esoteriker, die in stark verrauschten Ton- oder Videoaufzeichnungen stets Botschaften aus dem Jenseits hören wollten. Schuld daran ist das menschliche Gehirn, das selbst zufälligen Mustern zwanghaft Sinn verleihen möchte.

Insgesamt dominiert Konzeptkunst, die auch auf zentrale russische und sowjetische Sujets Bezug nimmt: Arseniy Zhilyaev, der sich zuletzt als führender linker Künstler Russlands zu positionieren versuchte, reproduziert mit einfachen Sperrholzplatten den Sowjetslogan "Friede ist unser Ideal".

Ebenso in Nostalgie schwelgt Alexander Djikia mit einer feinsinnigen Hommage an den ersten Kosmonauten Juri Gagarin. Kurz vor seinem Umfalltod 1968 hatte der sowjetische Superheld mit einem absurd überdimensionalen Buntstift posiert: Djikia zeigt die dazugehörige Fotografie, eine Kopie des Stiftes und ein Porträt des Kosmonauten, das er just mit dem Riesenstift gezeichnet hatte.

Gutenachtgeschichte

Als abschließendes Highlight der Ausstellung darf Sergey Bratkovs Video "Vollmond" gelten: Der ukrainische Künstler zeigt einen hellen Nachthimmel und erzählt voller Pathos eine Gutenachtgeschichte über die Wirksamkeiten von Geld: Dieses bringe nicht nur Vögel zum Singen, es bedeute in einem erweiterten Sinne auch Kunst, Kunstsammeln, teure Autos oder absolute Macht.

Freilich, ganz so ist das natürlich nicht - auch nicht in Russland. (Herwig Höller, DER STANDARD, 15.10.2013)