"Es gibt keine Appetitlosigkeit, der man nicht durch individuell angepasste Ernährung beikommen kann", sagen die Onkologin Irene Kührer und die Ernährungsexpertin Elisabeth Fischer.

Zehn Personen versammeln sich an einem Oktobernachmittag in einem Wiener Kochstudio in Naschmarktnähe. Gemeinsam nehmen sie die Zubereitung von Kürbis-Pastinakensuppe, Karotten in Cremesauce, gegrillten Zucchini mit Kräutersauce und Ofenkartoffeln sowie Tofu-Grießnockerln auf Apfel-Zwetschkensauce in Angriff. Speisen, die saisonal, vegetarisch und wohlschmeckend sind; vor allem aber bekömmlich für Menschen, die mit einem künstlichen Darmausgang durch die Bauchdecke (Stoma) leben.

Foto: tinsobin/derStandard.at

Treibende Kraft hinter dem Kochworkshop sind zwei Frauen, die sich seit Jahrzehnten der Ernährung verschrieben haben: Irene Kührer, Fachärztin für Hämatologie und Onkologie an der Universitätsklinik im AKH Wien, und Elisabeth Fischer, Köchin, Ernährungsratgeberin und Autorin. Frei nach dem Motto "Wissenschaft trifft Kochkunst" vermitteln sie Menschen, die mit einem Stoma leben, Tipps für eine gut verträgliche und lustvolle Ernährung. Auch Kochkurse explizit für Darmkrebspatientinnen stehen auf dem Programm (>> derStandard.at berichtete).

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Zu Beginn werden die Rezepte besprochen, dann Gruppen gebildet und drauf los gekocht. "Pastinaken und Kürbis sind leicht verdaulich", spricht Elisabeth Fischer einführende Worte zur Suppe. Beide Gemüse enthalten wenige Faserstoffe, sättigen und wärmen in der kalten Jahreszeit. "Wer den Zwiebel gar nicht verträgt, soll ihn bitte weglassen, aber wenn man ihn zehn bis 15 Minuten lang sachte anbrät, bis er ganz weich und matschig ist, ist er bekömmlich und hat ein rundes Aroma", weiß die Ernährungsexpertin.

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Die meisten Stomapatienten vertragen keine gas- und geruchsbildenden Lebensmittel wie Zwiebel, Lauch oder Karfiol sowie säurebildenden Lebensmittel wie Tomaten. Diese können die Schleimhaut des künstlichen Ausgangs angreifen und zu lokalen Reizen führen.

Muskat, Piment, Koriander, Zimt... Die Gewürze für die Suppe regen den Appetit an und werden kurz mit dem Zwiebel mitgebraten, so können sie ihr volles Aroma entfalten.

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Die Suppe kocht, nun kommen die Zucchinischeiben ins Rohr.

Die Verträglichkeit von Lebensmitteln ist vor allem von der Lokalisation des Stomas abhängig: "Je weiter oben es im Dünndarm sitzt, umso flüssiger ist der Stuhl und umso größer das Problem mit der Flüssigkeitsaufnahme", weiß Irene Kührer. Wie viel Flüssigkeit muss ich trotzdem trinken? Wie wichtig ist Salz? Diesen und vielen weiteren Fragen wird im Workshop nachgegangen.

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Für die grüne Sauce zu den Zucchini wird Petersilie mit den Stängeln gehackt und mit Liebstöckel, Selleriewürfeln, Zitronenschale, Sojarahm etc. angedünstet und zu einer homogenen Masse püriert.

Früher bedeutete Dickdarmkrebs so gut wie immer einen künstlichen Darmausgang, heute ist das nur noch in zehn bis 20 Prozent der Fall. Nach dem chirurgischen Eingriff erhalten allerdings viele Betroffene ein vorübergehendes Stoma. Zu Therapieende wird es wieder rückoperiert. Dennoch: "Ein Stoma ist immer ein Schock", weiß Kührer. Der Umgang damit werde zwar bereits nach der Operation im Krankenhaus vermittelt, doch für Ernährungsfragen gebe es dort kaum Kapazität.

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Äpfel, Zwetschken, brauner Zucker und Zitronensaft wandern mit Zitronenschale, Zimt und Nelken in einen Topf. Sie werden weich gedünstet und püriert.

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Die Kürbis-Pastinakensuppe ist fertig.

Anstoß für den Kochkurs gab vor 17 Jahren Kührers Arbeit auf einer Krebsstation mit knochenmarktransplantierten Patienten, die fast nichts zu sich nehmen konnten. Sie zog Elisabeth Fischer zu Rate, und diese begann - verbotenerweise - in der Teeküche für die Patienten Speisen zuzubereiten; "mit frischen, leichten Zutaten, und alles sehr schön angerichtet", erzählt die Ernährungsexpertin. "Sogar denjenigen, die vorher überhaupt nichts essen konnten, hat es geschmeckt", spricht Kührer von einem Erfolg.

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Elisabeth Fischer und ihre MitköchInnen bereiten Sojatopfen für die Nockerln zu. Da viele Darmkrebs-Patienten im Zuge der Therapie eine Laktose-Intoleranz entwickeln, werden statt Joghurt, Butter, Sauerrahm oder Schlagobers Soja-Ersatzprodukte verwendet. "Viele verlieren auch den Gusto auf Fleisch", argumentieren die Expertinnen die vegetarische Linie der Rezepte. Das Fett kommt in Form von ernährungsphysiologisch wertvollem und gut verträglichem Nussmus zum Einsatz.

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Viele Patienten sind laut Kührer bereits zum Zeitpunkt der Diagnose Krebs mangelernährt. Dieser Gewichtsverlust sei allerdings noch reversibel. Im Laufe der Erkrankung steigt das Risiko für Unterernährung und damit verbundenen Muskelabbau.

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Kührer plädiert trotz der oft massiven Beschwerden im Rahmen einer Chemotherapie - wie Appetitlosigkeit, Durchfall oder angegriffene Mundschleimhaut - nicht zum Essen aufzuhören. "Es gibt keine Appetitlosigkeit, der man nicht durch individuell angepasste Ernährung beikommen kann", ist sie überzeugt.

Kurzfristig entscheidet sich Fischer, die Nockerlmasse als Auflauf zu backen. Das Ergebnis ist mit Sicherheit ebenso köstlich...

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... voilá, so sieht der Auflauf auf der Apfel-Zwetschken-Sauce aus.

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Schnell zuzubereiten und auch für Ungeübte realisierbar sind die Speisen, die im Workshop vermittelt werden. "Der Kurs ist ein aktiver und eigenverantwortlicher Zugang, bei dem es darum geht, das Essen selbst in die Hand zu nehmen und Freude daran zu haben", sagen Fischer und Kührer. Ob jemand vorübergehend oder dauerhaft mit einem Stoma lebt: Wichtig sei es, Lebensfreude zu haben.

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Am Ende sitzen alle TeilnehmerInnen an einem Tisch und lassen sichs schmecken. Und wenn jemand doch einmal Lust auf Deftiges bekommt? "Verboten ist nichts, aber verträglich sollte es sein", sagt Irene Kührer. (Eva Tinsobin, derStandard.at)

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Die Kochkurse für Stoma- und Darmkrebspatienten finden in unregelmäßigen Abständen in ganz Österreich statt und werden vor allem in Mundpropaganda, und hier in erster Linie über Selbsthilfegruppen kommuniziert. Interessierte wenden sich an die Selbsthilfegruppe Darmkrebs.

Literatur:

Irene Kührer und Elisabeth Fischer, Kneipp Verlag:

  • "Richtig essen bei Darmkrebs"
  • "Soja, der leichte Genuss"
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