Schokoladenlabor, Tischkunststudio und Testrestaurant. Wer diese Begriffe hört, glaubt sich in einer anderen Welt. In einem weitläufigen Park, in der kleinen Stadt Écully vor den Toren Lyons liegt das französische Hogwarts. Hinter den 30 Meter hohen Mauern des neogotischen Château du Vivier versteckt sich Frankreichs prestigeträchtigste Kochhochschule: das Institut Paul Bocuse.

Am Eingang empfängt uns ein Butler - eine Skulptur ganz aus Soßenschüsseln, Terrinen und Suppenlöffeln. Studentische Kellner in feinen Anzügen schieben Tische mit Gläsern und Besteck durch prunkvolle Gänge. 450 junge Menschen aus fast 40 Ländern studieren hier jedes Jahr, bald werden es gut 100 mehr sein. Das Institut, benannt nach Frankreichs bekanntestem Sternekoch Paul Bocuse, ist gerade dabei, seine Hochschule zu erweitern.

In der Küche empfängt uns ein ehemaliger Student. Heo Chan trägt heute als Küchenchef die Verantwortung für die studentische Kochkunst. "Ich bin nur da, um ihnen zu helfen", erklärt Chan. Eine Herausforderung: Schließlich gelangt alles, was hier gebraten, gebacken und gekocht wird, ins hochschuleigene Restaurant. Dort warten keine Kommilitonen, sondern zahlende, hungrige Gäste. Auf dem Speiseplan stehen heute unter anderem Kalbsfleisch und Gnocchi.

Eine Studentin garniert gerade eine Käseplatte. Andere drücken lachend Gnocchi aus Kartoffelmasse. Die Rezepte an der Wand, so erklärt einer von ihnen, hatten sie vor kurzem im Seminar selber erstellt. Darauf stehen neben den Zutaten auch Preise. Schließlich sollen die Studenten wissen, was das alles kostet. Aus diesem Grund lässt sie die Hochschule die Einkäufe selbst bestellen. Die Ausnahme, sehr französisch: der Wein.

Während die einen kochen, sind die anderen mit der Vorbereitung der Tische beschäftigt. Ein Student hält prüfend ein Glas ins Licht, eine andere bügelt Tischdecken. Gut und gerne eine Stunde kann das Decken eines einzigen Tisches dauern.

Das Studium hier ist kein Zuckerschlecken. Zwei Wochen Studium wechseln mit zwei Wochen Praxis ab. "Während des Praxisteils arbeite ich meist von neun bis halb vier und von 18.30 bis Mitternacht", verrät Arnaud, er studiert im zweiten Jahr "hôtellerie-restauration". Arnaud, in Anzug und mit feinen weißen Handschuhen, erklärt, dass "die Teller geometrisch angeordnet werden müssen". Bernard Ricolleau, sein Professor und Restaurantchef, findet ihn zu langsam. "Vite, vite", sagt er. Er solle sich beeilen. Bald kämen schließlich die ersten Gäste.

Kulinarische Metamorphosen

Das ist bei weitem noch nicht das ganze Schloss. Nach einem kurzen Abstecher in den Kräutergarten, ins Schokoladen- und Boulangerielabor und Tischkunststudio, geht es in den Seminartrakt. In einem Raum diskutieren drei Masterstudenten gerade das neue, noch geheime Menü von Air France. Das Flugunternehmen hat sie beauftragt, das Konzept für seinen 80. Geburtstag zu erstellen.

Andere Kurse heißen "Ernährung", "Geschmack und Freude" oder "Gesundheit und Wohlbefinden". Neben dem studentischen Restaurant für 80 Personen gibt es ein kleines Restaurant, das die Studenten regelmäßig gestalten. Diese Woche ist "Metamorphose" das Thema. An den Wänden hängen weiße Tücher, ein Projektor spielt einen Film über tanzende Törtchen, die sich auflösen.

Das studentische Essen des Tages: Gemüseallerlei auf Kartoffel-Karotten-Püree, eine Eiercreme, als Hauptgang Sushi und als Nachtisch eine Crème brulée.

Das Menü der Studenten macht dem großen Meister Paul Bocuse alle Ehre. Und welch ein Glück: Sie dürfen, wenn ihre Gäste weg sind, die Köstlichkeiten ihrer Kommilitonen selbst verspeisen. (Robert Schmidt aus Lyon, DER STANDARD, 3.10.2013)