Das Dachsteinmassiv ist thermisch äußerst aktiv. Für Paragleiter bedeutet das längere Flugzeiten.

Foto: Steiermark Tourismus / Reinhard Lamm

Kurz vor dem Start schlägt bei jedem das Herz wie wild. Selbst der gut trainierte junge Mann, der an diesem Wochenende mit seinen Freunden aus Wien angereist ist, um seinen Geburtstag mit einem Abenteuer zu feiern, gesteht: "Wahnsinn, mia geht die Pumpn."

Beim Paragleiten ist der Start die größte Herausforderung. Mit der Seilbahn ist man den als Skigebiet bekannten Hauser Kaibling von Schladming aus hinaufgefahren, dann mit dem gesamten Material zur Startwiese gewandert, die ein beunruhigend abschüssiger Hügel ist. Hier soll man wirklich hinunter?

Schnell ist der Gurt festgezurrt, der Schutzhelm aufgesetzt, der Lehrer steht für den Tandemflug dicht hinter einem, beruhigt noch einmal und gibt dann ein Kommando, das durchaus Überwindung kostet: "Einfach so lange laufen, bis du keinen Boden mehr unter den Füßen spürst." Eins, zwei, drei und: los.

Schirmherr einer Idee

1965 hatte der Amerikaner David Barish den Sailwing erfunden, die Weiterentwicklung eines von ihm für die Nasa entwickelten dreibogigen Einzelflächen-Fallschirms. Damit könne man, so seine schlagende Idee, Skigebiete auch im Sommer nutzen. Damals war die Zeit allerdings noch nicht reif für diese Idee und sein Schirm nicht raffiniert genug, um mit der Thermik zu spielen und länger in der Luft zu bleiben.

Der Siegeszug des Paragleitens oder Gleitschirmfliegens begann erst in den 1980er-Jahren, vor allem in Europa. Damals war das Paragleiten allerdings den "jungen Wilden" vorbehalten, ein Abenteuer für wagemutige Draufgänger und Supersportler. Das hat sich mittlerweile, vor allem wegen des verbesserten Materials, grundlegend geändert. "Seit gut 15 Jahren gibt es eigentlich keine Zielgruppe mehr", erzählt Fluglehrer Stefan, der für den Sky Club Austria in der Dachstein-Region tätig ist: "Du musst nur laufen können, aber, selbst wenn du körperlich eingeschränkt bist, gibt es Möglichkeiten, dich in die Luft zu bringen." Sein ältester Gast war 88 Jahre alt. "Bisher hat noch keiner Panik bekommen", erzählt Stefan. "Am Anfang haben viele weiße Finger, weil sie sich an den Gurten festkrallen, aber das legt sich."

Beim Tandemflug hängt der Fluglehrer hinten dran, übernimmt das Steuer und die psychologische Betreuung. Wichtig ist freilich nicht das Alter, sondern das Gewicht, das man mitbringt: mindestens 130 Kilo, mit Fluglehrer und Material. Ab fünf Jahren sind Flüge deshalb meist möglich.

Viertelstunde ohne Boden

Eins, zwei, drei: los. Der Start ist tatsächlich eine kurze Überwindung, aber sobald man in der Luft schwebt, ist jede Unsicherheit sofort verflogen. Höhenangst? Keine Spur! Der Schirm gleitet stabil und leise, die Landschaft ist von oben atemberaubend. Im Hintergrund tut sich das prächtige Dachsteinmassiv auf, wir drehen eine Runde mit dem Schirm, um ein Erinnerungsfoto zu machen. Schon sind erste Häuser von Schladming zu sehen, wie Legobauten ordnen sie sich zu einem Muster. Die Landung erfolgt sanft auf einer Wiese, nach erstaunlich schnell vergangenen 15 Minuten hat man wieder festen Boden unter den Füßen.

Die Gesichter der Paragleit-Einsteiger strahlen, eigentlich möchte man sofort wieder rauffahren, um noch einmal zu fliegen. 1000 Höhenmeter haben wir zurückgelegt. Dem Fluglehrer hat es die Ohren verschlagen, schließlich muss er die Strecke mehrmals täglich zurücklegen. "Anstrengend ist nur das Hochschleppen des Materials", sagt Stefan. "Sobald wir in der Luft sind, kostet es keine Kraft mehr." Er muss schnell los, die nächsten Gäste warten bereits bei der Startwiese auf dem Berg.

Beim Paragleiten ist man extrem von den Wind- und Wetterverhältnissen abhängig. Das Wichtigste, das man mitbringen muss, ist deshalb Geduld. Schnell geht nur der Flug, oft heißt es warten, es muss kurzfristig entschieden werden, ob und wann gestartet werden kann. Die Verhältnisse sind im Herbst ideal, besser als im Sommer, wenn Gewitter dräuen.

Eine Warnung muss man aber aussprechen: Es besteht massive Suchtgefahr. Kann gut sein, dass man nach dem ersten Tandemflug sofort im Internet nach neuen Zielen sucht. Der Hallstätter See auf der anderen Seite des Dachsteins ist sicher auch fantastisch: Da beträgt der Höhenunterschied 1500 Meter. Höhenangst, nein Danke! (Karin Cerny, DER STANDARD, Album, 12.10.2013)