Nicht jede Budgetkrise in den USA muss katastrophale Auswirkungen haben. Auf den ebenfalls durch ein Patt zwischen den Republikanern im Kongress und einem demokratischen Präsidenten ausgelösten "Shutdown" 1995/96 folgten Jahre mit kräftigem Wirtschaftswachstum und explodierenden Börsenkursen, die Amerikas Stellung als Supermacht auf Jahre hinaus stärkten.

Doch diesmal stehen die Aussichten, dass der Streit um das Budget und die Anhebung des Schuldenlimits so glimpflich ausgeht, viel schlechter. Die US-Wirtschaft ist in einem fragileren Zustand als Mitte der Neunzigerjahre, eine neue technologische Revolution ist nicht in Sicht. Und vor allem sind die Fronten zwischen Republikanern und Demokraten mehr verhärtet als in der Präsidentschaft von Bill Clinton. So radikal der damalige Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, damals dachte und sprach, zumindest hatte er seine Fraktion im Griff.

In diesem Herbst hingegen steuern Republikaner und Weißes Haus unaufhaltsam auf die große Konfrontation zu. Der Stillstand der Regierungsbehörden ist nach fast zwei Wochen bereits Normalität, die viel schlimmere Zahlungsunfähigkeit der USA am kommenden Donnerstag wird von Tag zu Tag wahrscheinlicher. Selbst wenn es im letzten Augenblick noch zu einer Einigung kommt, wird diese nur einen Aufschub um einige Wochen, aber keine grundsätzliche Lösung bringen, die den USA wieder zu einer fiskalpolitischen Stabilität verhilft.

Eine Verlängerung des Konflikts durch eine kurzfristige Anhebung des Schuldenlimits ist sogar die schlechteste Lösung für alle. Sie würde die Unsicherheit auf den Weltfinanzmärkten prolongieren und die Lust der Tea-Party-Republikaner, Präsident Barack Obama politische Zugeständnisse abzupressen, weiter verstärken.

So unberechenbar die Folgen eines Zahlungsausfalls der US-Regierung auch sind ­– wird die Schuldengrenze nicht angehoben, dann muss sich Finanzminister Jack Lew ab Donnerstag entscheiden, ob er Zinsen auf Staatsanleihen oder staatliche Pensionen bezahlt: Es mag vielleicht besser sein, ein solches Schreckensszenario einmal zuzulassen, als durch einen faulen Kompromiss die nächste Runde in der Schlacht um Washington einzuläuten. Denn erst wenn die Umfragewerte für die Republikaner weiter in den Keller rasseln und viele Abgeordnete fürchten müssen, bei den Zwischenwahlen 2014 ihre bisher so gut abgesicherten Sitze zu verlieren, könnten die halbwegs vernünftigen Kräfte in der Partei wieder die Oberhand gewinnen.

Was immer die nächsten Tage bringen, der Verlust an Prestige und Einfluss für die größte Wirtschaftsmacht der Welt ist jedenfalls unvermeidbar. Die Tea Party hat sich zum Ziel gesetzt, das Staatswesen dramatisch abzuschlanken. Doch eine komplexe moderne Gesellschaft kann nicht so funktionieren wie ein Agrarland im 19. Jahrhundert. Ihr Experiment ist zum Scheitern verurteilt – allerdings mit horrenden Kosten für die USA und die Welt. (Eric Frey, DER STANDARD, 14.10.2013)