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Vorbereitungen für einen Eingrif in einer Marie Stopes International Klinik in der chinesischen Provinz Shaanxi.

Foto: AP/Ng Han Guan

Ein Vater hält sein Baby im Arm und spricht in die Kamera: "Weil sie eine Frau ist". Die neben ihm stehende Mutter ergänzt: "Und Rechte hat". Was hier beschrieben wird, ist nicht der Imagefilm einer feministischen Einrichtung, sondern das Werbematerial der europäischen Pro-Life-Initiative "One of us". Seit Mai diesen Jahres hat die Initiative über eine Million Unterstützungserklärungen gesammelt (dieStandard.at berichtete). Und sie kam dabei ganz ohne jenen Stil aus, der sie als radikale AbtreibungsgegnerInnen geoutet hätte.

Der Initiative geht es dennoch um nichts weniger als den "Schutz des Lebens von Anfang an". Um den "rechtlichen Schutz der Würde, des Rechts auf Leben, und der Unversehrtheit jeder menschlichen Person vom Zeitpunkt der Empfängnis an". Zur Untermauerung ihrer Position verweisen sie in ihrem Petitionstext auf einen Rechtsspruch des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), wonach jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an bereits ein "menschlicher Embryo" und deshalb schützenswert sei.

Patentrecht nicht übertragbar

Allerdings handelt es sich bei dem Urteil um einen Streit über das Patentrecht, das schlussendlich im Verbot der Patentierung embryonaler Stammstellen mündete. Der EuGH-Generalanwalt stellte bereits in seiner Stellungnahme (S.9) klar, dass die Definition eines Embryos im Sinne des Patentrechts nicht mit der Definition eines menschlichen Embryos in anderen Bereichen, vor allem bei Schwangerschaftsabbrüchen, bei denen es um individuelle Konfliktsituationen gehe, gleichzusetzen sei.

"One of us" tut jedoch genau das, indem sie das Patentrecht für Embryonenforschung und den Schwangerschaftsabbruch miteinander verbinden. Sie fordern, dass die EU die Finanzierung von allen Unternehmungen einstellt, in denen "das Leben des menschlichen Embryos auf dem Spiel steht" – konkret in den Bereichen Forschung, Entwicklungspolitik und öffentliche Gesundheit. Die EU soll die Finanzierung von Forschung mit menschlichen Stammzellen oder auch Forschung, bei der menschliche Embryonen zerstört werden, einstellen. Und sie soll Entwicklungszusammenarbeit unterbinden, in der direkt oder indirekt Abtreibung (mit-)finanziert wird.

Vom Erfolg der Petition überrascht

Kritik an der Kampagne mit diesen weitreichenden Forderungen war bisher kaum vernehmbar. Tatsächlich hatte wohl kaum jemand damit gerechnet, dass die Aktion so ein Erfolg werden und weit mehr als die nötige Unterstützung in der europäischen Bevölkerung erzielen würde. Allein in Österreich unterschrieben über 30.000 Menschen die Petition, 18.000 hätten als Mindestbeteiligung bereits gereicht. Jetzt muss sich die EU-Kommission zumindest mit der Petition befassen. Ob sie aber einen Gesetzesvorschlag ausarbeitet, bleibt ihr überlassen.

Müttergesundheit und Selbstbestimmung von Frauen in Gefahr

Entwicklungsorganisationen warnen nun, dass eine solche politische Richtungsänderung die EU in Widerspruch zu ihrem Bekenntnis für mehr Müttergesundheit in ökonomisch armen Ländern (vereinbart etwa in den UN-Milleniumszielen) sowie dem ausreichenden Zugang von Frauen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit bringen würde. Das entwicklungspolitische Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven, WIDE, sieht zudem das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen untergraben. Es hält in seiner Stellungnahme fest: "Würde beinhaltet Selbstbestimmung. Frauen darf daher das Recht auf Schwangerschaftsabbruch nicht genommen werden."

Gründe für den Erfolg

Im Raum steht auch die Frage, wieso die Initiative mit der vielseitigen Fragestellung so ein Erfolg werden konnte. Die Juristin Brigitte Hornyk, Vorstandsmitglied im österreichischen Frauenring, glaubt, dass die "massive Unterstützung katholischer Kreise" für den Erfolg der Petition verantwortlich ist. "Die Unterschriftenlisten lagen ja sogar in den Kirchen zur heiligen Messe auf. So gesehen sind 30.000 Unterschriften auch nicht wirklich ein großer Erfolg".

Aber noch ein weiterer Grund dürfte den LebensschützerInnen geholfen haben: "Die Argumentation über die Finanzierung (Anm. von Unternehmen) hat die wahren Ziele ein wenig verschleiert, was in manchen Kontexten hilfreich gewesen sein könnte". Auf kirchlicher Ebene wurde jedenfalls mit knallharter Anti-Abtreibungspropaganda für die Petition geworben, ist sich Hornyk sicher.

Religiös motivierte Petition

Und tatsächlich, wenn man die Liste der UnterstützerInnen durchgeht, bleibt eigentlich kein Zweifel über, dass es sich bei "One of us" um eine religiös motivierte Aktion handelt. In Österreich reicht die Unterstützungsliste von der obligatorischen Bischofskonferenz, über ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Hainigg, bis zu "Aktion Leben" und der ÖVP-Politikerin Gudrun Kugler (die unlängst erst mit der Skandalisierung eines österreichischen Unterrichtsmaterials für Sexualkunde in Erscheinung in Erscheinung getreten war). Aber auch der Pathologe Lukas Kenner, Mitglied der österreichischen Bio-Ethikkommission, ruft dazu auf, die Petition zu unterschreiben.

Auf Anfrage von dieStandard.at erklärt dieser, dass für ihn vor allem die wissenschaftlichen Implikationen der Petition zählen. Es will damit erreichen, dass die Verantwortlichen die Forschungsfinanzierung an menschlichen embryonalen Stammzellen zwar nicht einstellen, jedoch reduzieren. Da es bereits wesentlich fortschrittlichere Methoden gäbe, gleichwertige pluripotente Stammzellen – sogenannte iPS-Zellen, künstlich herzustellen, habe die Forschung an embryonalen Stammzellen ohnehin bereits an Bedeutung eingebüßt. Und mit dem Verbot der Patentierung von entwicklungsfähigen menschlichen Zellen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) 2011  sei man diesem Ziel auch schon ein Stück näher gekommen, so Kenner.

Wind of change?

Druck aufbauen, in die eine und andere Richtung, das ist es wohl, was "One of us" letztlich erreichen will. Mit der Übererfüllung der notwendigen UnterstützerInnen zeigt sie bereits jetzt, dass ein verschärfter Embryonenschutz in Europa politisches Streitthema werden könnte. Der nächste Termin, an dem sich  in dieser Frage die politischen Kräfte messen werden, ist der 22. Oktober. Dann stimmt das EU-Parlament über einen Initiativbericht des Frauenausschusses zum Thema "Sexual and reproductive health and rights" ab, der die EU Länder dazu auffordert, den Schwangerschaftsabbruch zu legalisieren. Ihre Entscheidung kann als Gradmesser dafür gewertet werden, wie sich das Parlament entscheiden würde, wenn die EU-Kommission tatsächlich mit einem Gesetzesvorschlag in Sachen "Lebensschutz" aktiv werden würde.  (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 13.10.2013)