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Nur wenige alte Häuschen "überlebten" den Bauboom in Marbella. Riesige, großteils leerstehende Wohnbauten dominieren heute die Costa del Sol. Doch auch unfertige Rohbauten prägen das Stadtbild. Der Bau wurde meist aufgrund der finanziellen Krise gestoppt.

Foto: REUTERS/Jon Nazca

Juan Antonio Roca war beim Ausgeben von Geld ebenso erfinderisch wie beim Verdienen. Bevor das Korruptionsimperium des früheren Baudezernenten von Marbella implodierte, hatte er neben diversen Luxusvillen, Hotels und Schiffen auch eine Herde von Kampfstieren und eine Sammlung alter Kutschen zusammengekauft. Auf Rechnung der Stadt orderte er nicht nur kistenweise teuren Wein, er war auch für die dekadenten Stierkampf-Events mit namhaften Toreros auf seiner privaten Finca bekannt.

Im Sommer 2006 nahm das schöne Leben ein jähes Ende. Roca wurde verhaftet - und mit ihm praktisch die gesamte Stadtregierung der 140.000-Einwohner-Stadt an der Costa del Sol, die in den 60er- und 70er-Jahren der Hotspot des Mittelmeer-Jetsets war. Die andalusische Landesregierung sah sich daraufhin gezwungen, eine Zwangsverwaltung einzusetzen.

Derzeit schlägt der Fall "Malaya" - die Polizei benannte ihre Aktion nach einem antiken Folterwerkzeug - noch einmal Wellen. Zu milde seien die Urteile gewesen, die das Gericht in der Provinzhauptstadt Málaga vor wenigen Tagen verhängt habe, lautet die öffentliche Meinung. Roca muss für elf Jahre ins Gefängnis und 240 Millionen Euro Strafe zahlen, ein guter Teil davon fließt in die marode Stadtkassa. María Soledad Yagüe, Ex-Bürgermeisterin von Marbella, stehen sechs Jahre Haft und 2,3 Millionen Euro Geldstrafe ins Haus, ihre frühere Stellvertreterin Isabel García Marcos kam mit vier Jahren Haft und 700.000 Euro Geldstrafe davon. Sie alle profitieren davon, dass ihre Delikte schon eine Weile zurückliegen, erst 2010 wurde das spanische Antikorruptionsgesetz verschärft.

Bausünden sind allgegenwärtig

Das zweifelhafte Vermächtnis der korrupten Stadtpolitiker ist an der Costa del Sol allgegenwärtig: Bausünden und -ruinen, so weit das Auge reicht. Wer die A7 am Mittelmeer entlangfährt, sieht links und rechts riesige leerstehende Häuserkomplexe aufragen - inklusive breiter Zufahrtsstraßen und riesiger Golfplätze, die völlig unbenutzt wirken. Oft blieben auch nur verlassene Baustellen, für deren Weiterführung oder Abriss sich niemand mehr zuständig fühlt. Erst vor wenigen Wochen kürte Greenpeace die Küste in und rund um Marbella zu einer der am schlimmsten verbauten Regionen von ganz Spanien.

In der Zeit des Booms schienen in Andalusien nicht nur das Geld, sondern auch die Gesetze abgeschafft zu sein. In den Zeitungen kursieren geradezu irre Bestechungssummen, beispiellos sogar für Spanien, wo man diesbezüglich Kummer gewohnt ist. Mehrere hundert Millionen soll über die Jahre allein Marbellas Ex-Baudezernent Roca kassiert haben, der ein weit verästeltes Netz aus Scheinunternehmen und Strohmännern aufgebaut hatte. Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass sich Roca nicht einmal die Mühe gemacht hatte, die Stadträte mit einzelnen Projekten zu behelligen; er zahlte ihnen und ihren Mitarbeitern eine monatliche Apanage (streng abgestuft nach Hierarchie) und brachte sie so dazu, "ihre Aufgaben vollkommen zu vernachlässigen", wie es in der Urteilsbegründung heißt.

Verdacht auf Veruntreuung der Subventionen

96 Personen saßen in Málaga auf der Anklagebank - keine einzige davon aus dem derzeit in Marbella regierenden konservativen Partido Popular (PP), wie Bürgermeisterin Ángeles Muñoz nach der Urteilsverkündigung anmerkte. Sie muss aber gar nicht erst nach Madrid blicken, um auch in der eigenen Partei schwarze Schafe zu finden. Erst am Mittwoch trat der PP-Bürgermeister der andalusischen Kleinstadt Alhaurín el Grande, Juan Martín Serón, zurück, nachdem ihn der Oberste Gerichtshof zu 200.000 Euro Strafe wegen Bestechung verurteilt hatte. In der andalusischen Landeshauptstadt Sevilla wiederum nahm die Polizei vor wenigen Tagen führende Gewerkschaftsmitglieder fest - sie stehen unter Verdacht, Subventionen in der Höhe von 51 Millionen Euro veruntreut zu haben.

Im Fall Malaya hingegen ist die Polizei immer noch auf der Suche nach Ex-Stadträten, die sich früher auch gerne einmal in Badehose oder beim Champagnerbad fotografieren ließen. Einer, Carlos Llorca, soll sich gerüchtehalber der Hilfe von Schönheitschirurgen bedient haben, um untertauchen zu können. Ein anderer, Carlos Fernández, sagte der Polizei, er sei gerade auf dem Jakobsweg unterwegs, als sie ihn im Juni 2006 zum letzten Mal telefonisch erreichte. Die Polizisten legten ihm daraufhin nahe, er möge sich doch bei der nächsten Dienststelle melden. Sie warten bis heute vergeblich darauf. Gut möglich, dass Fernándenz mittlerweile bis nach Südamerika gewandert ist, um einem Prozess zu entgehen. (Andrea Heigl aus Marbella, derStandard.at, 11.10.2013)