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Libyens Premier Ali Zeidan bei einer Pressekonferenz am Donnerstag nach seiner Freilassung.

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Im September reiste Zeidan zur UN-Vollversammlung nach New York. Dort traf er auch den US-Außenminister John Kerry.

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Quelle: APA

Zu Mittag war Ali Zeidan wieder frei. Für wenige Stunden wurde der libysche Premier am Donnerstag von einer Miliz im Innenministerium festgehalten. Was diese Entführung mit der US-Festnahme des mutmaßlichen Al-Kaida-Terroristen Anas al-Libi zu tun hat und vor welchen Schwierigkeiten das Land steht, erklärt Libyen-Experte Jason Pack im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Wie ist die Entführung von Premier Ali Zeidan einzuordnen? War sie eine Reaktion auf die Festnahme von Abu Anas al-Libi durch die USA in Libyen? Oder hat etwas anderes die Gefangennahme ausgelöst?

Pack: Niemand kann das exakt sagen. Die Gruppe "Libya Revolutionaries Operation Room", die für die Festnahme am Donnerstag verantwortlich war, gibt an, der Grund für ihre Aktion seien finanzielle Angelegenheiten und Korruptionsvorwürfe gegen den Premier gewesen. Dieser Fall weist allerdings eine starke Symbolik auf.

Obwohl viele Libyer darüber besorgt sind, dass Islamisten das Land für Waffenhandel und die Planung von Anschlägen nutzen, gibt es auch einen kleinen Teil der Bevölkerung, der empört darüber war, dass die USA die Souveränität des Landes verletzt haben, um einen libyschen Staatsbürger festzunehmen. Als Reaktion darauf haben sie jemanden festgehalten, der Autorität und westlichen Einfluss in Libyen repräsentiert. Dafür haben sie sich Premier Zeidan ausgesucht.

Das kann symbolisch bedeuten, dass sie im Premier einen Vertreter des Westens sehen - das ist zwar ziemlich absurd, aber ein kraftvolles Zeichen. Die Leute, die das gemacht haben, sind sicher keine Islamisten oder gar Jihadisten. Aber sie wollen sicher keine starke Zentralregierung. Diese Gruppen wollen niemanden - seien es die USA oder eine Zentralregierung -, der sich in ihre Interessen einmischt.

derStandard.at: Warum hat die Miliz den Premier nach wenigen Stunden wieder gehen lassen?

Pack: Ich denke, sie wollen einen Zusammenbruch seiner Regierung. Zeidan persönlich zu verletzen lag nicht in ihrem Interesse. Es könnte sein, dass Leute aus seinem Umkreis wie Nuri Abusahmain, der Präsident des Allgemeinen Nationalkongresses und damit der höchsten Legislativbehörde des Landes, sich für seine Freiheit eingesetzt haben und der Miliz dafür Zugang zu Projekten und finanziellen Mitteln zugesagt wurde.

derStandard.at: Gibt es überhaupt noch eine funktionierende Zentralregierung in Libyen?

Pack: Die Regierung ist noch nicht zusammengebrochen, aber sie hat Schwierigkeiten, das Land zu kontrollieren. Möglicherweise wollen einige der Milizen Ali Zeidan zum Rücktritt bewegen - entweder weil sie ihm Korruption vorwerfen oder weil sie meinen, er sei ineffektiv. Es ist eine starke Symbolik, dass sie ihn im Corinthia-Hotel im Stadtzentrum von Tripolis festgenommen haben. Zeidan wohnt ja nicht in einem Haus, sondern aus Sicherheitsgründen in diesem Hotel, das auch die meisten Ausländer beherbergt.

derStandard.at: Hat Zeidan von der US-Aktion zur Festnahme al-Libis gewusst?

Pack: Es ist offensichtlich, dass er darüber Bescheid wusste. Wahrscheinlich wurde er darüber im September bei seinem Besuch in den USA informiert. Das war eine lang vorbereitete Aktion der USA. Möglicherweise hat er die Unterstützung der libyschen Geheimdienste angeboten, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass er diesen Deal auch öffentlich bestreiten kann. Die USA haben aber ziemlich rasch zugegeben, dass sie Unterstützung von libyscher Seite hatten.

derStandard.at: Warum hat US-Außenminister Kerry die Beteiligung Libyens so schnell öffentlich gemacht?

Pack: Das ist auch mir nicht ganz klar. Das könnte einfach ein Fehler gewesen sein, weil die USA die Auswirkungen dieser Äußerung nicht richtig eingeschätzt haben. Es könnte aber auch sein, dass Medien diese Information schon hatten und der US-Regierung nichts mehr übrigblieb, als die Wahrheit zu sagen.

derStandard.at: Warum haben sich die USA diesen Moment zur Festnahme al-Libis ausgesucht. Wäre es nicht möglich gewesen, noch einige Monate zu warten, bis das Land eventuell ein wenig stabiler ist?

Pack: Ich denke, die Wahl des Zeitpunkts hat mit US-amerikanischer Innenpolitik zu tun. Obama steht derzeit wegen des Goverment Shutdown sehr unter Druck. Er wollte mit dieser Aktion unter Beweis stellen, dass er ein starker Führer ist und der Kampf gegen den Terror weitergeht.

derStandard.at: Libyen ist in einem sehr fragilen Zustand: Weiterhin sind viele Milizen mit unterschiedlichen Interessen aktiv, die nur eint, dass sie eine starke Zentralregierung ablehnen. Wie kann das Land aus dieser Situation herauskommen?

Pack: Die Regierung muss mit der Peripherie zusammenarbeiten - aber auch die Peripherie miteinander verbinden. Es kann nicht jeder Stamm, jede Miliz, jede Stadt für sich allein funktionieren, sondern vielmehr als Teil eines größeren Ganzen.

derStandard.at: Was müssten die ersten Schritte sein, um dieses Ziel zu erreichen?

Pack: Für viele nötige Schritte ist es bereits zu spät. Die Zentralregierung hätte den Forderungen der Föderalisten nicht nachgeben dürfen. Aber Konfrontationen, die nötig gewesen wären, wurden immer wieder vermieden. So wurden die Rahmenbedingungen geschaffen, die jetzt die Regierung erschüttern.

derStandard.at: Ist es also zu spät für ein funktionierendes Libyen?

Pack: Ich weiß zwar nicht, wie es vom jetzigen Zustand aus weitergehen kann, aber einige Stimmen sagen, es sei für die Regierung möglich zu bestehen. Durch Training im Ausland würden Polizei und Armee stark genug werden, um ihren Gegnern entgegentreten zu können. Es sei möglich, sich weiterhin durchzuwursteln, bis sie wieder stärker sind.

derStandard.at: In einem Interview mit CNN hat Zeidan vor wenigen Tagen gesagt, Libyen sei kein "Failed State". Es brauche nur noch ein wenig Zeit, um richtig zu funktionieren.

Pack: Seine kurzfristige Festsetzung am Donnerstag hat gezeigt, dass die libysche Regierung zu schwach ist, den eigenen Premier zu schützen. Zeidan ist kaum in der Lage, sein eigenes Büro zu führen, geschweige denn das Land. Es zahlt keine Gehälter, das führt dazu, dass einige Milizen rebellieren. Es ist aber nicht so, dass Libyen kein Geld hat. Es fehlt am mittleren Management, das die Lohnschecks unterschreibt. Und darum geht es im Alltagsgeschäft. Zeidan kümmert sich um zu vieles, verzettelt sich und ist nicht in der Lage zu delegieren.

derStandard.at: Was könnte die internationale Gemeinschaft tun, um die Situation in Libyen zu verbessern? Die USA sind doch an einem funktionierenden Staat interessiert, der nicht mehr als Basis für Attentate oder als Route für Waffenlieferungen in andere Länder Nordafrikas dient.

Pack: Die USA brauchen Libyen als kooperationsfähigen Partner. Die USA sollten allerdings den Aufbau eines funktionierenden Staatswesens nicht erzwingen. Das funktioniert nicht, wie wir im Irak und in Afghanistan gesehen haben. Der Premier Ali Zeidan hätte ein guter Partner sein können, wenn er stark genug wäre, um bestimmte Reformen durchzusetzen. Das scheint allerdings nicht der Fall zu sein. Ich habe aber noch Hoffnung. Der Präsident des Allgemeinen Nationalkongresses, Nuri Abusahmain, könnte die Rolle einer solchen Integrationsfigur übernehmen. (Michaela Kampl, derStandard.at, 11.10.2013)