Libyen wurden nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi im Vergleich zu anderen "Arabischer Frühling"-Staaten gute Chancen eingeräumt: Das reiche Ölland mit einer kleinen, bis auf südliche Minderheiten recht homogenen Einwohnerschaft könne sich den politischen Übergang zumindest leicht finanzieren, hieß es.

Wo es viel zu verteilen gibt, stehen aber auch viele bereit, es abzuholen - und Geld wird schnell zum Politikersatz. Als sich herausstellte, dass das Post-Gaddafi-Libyen weniger ein Staat als ein Sammelsurium von einzelnen, meist territorial definierten Gruppen mit ausgeprägten Partikularinteressen war, versuchte Tripolis wenigstens die bewaffneten Milizen dieser Gruppen zu neutralisieren. Die Regierung hängte ihnen das Etikett "staatlich" um und zahlte ihnen Gehälter, was als "Reintegration" bezeichnet - und international gelobt - wurde.

Das Geld haben die Milizen gerne genommen, aber den Deal, dass sie ab jetzt im Dienste eines Staates mit Gewaltmonopol stehen, haben sie nie akzeptiert. Im Gegenteil: In Libyen wird schon seit längerem das Pferd von hinten aufgezäumt. Die Milizen diktieren die Politik, und wenn die Regierung nicht spurt, dann wird besetzt - das Parlament, Ministerien, Ölinstallationen - und "festgenommen": zur Not eben auch der Premierminister, wie es in der Nacht zum Donnerstag passiert ist. Was die Raubritter für dessen Freilassung bekommen haben, wird man noch erfahren. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 11.10.2013)