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Niederländisches Trugbild: Der Staat und die Jungen werden künftig weniger für die Alten sorgen können als bisher.

Foto: EPA/KOEN VAN WEEL

Wie lässt sich eine Kürbissuppe angemessen servieren? Richtig - in einem ausgehöhlten Kürbis. Das Exemplar, das im Seniorentreff des niederländischen Bauerndörfchens Hoogeloon auf den Tisch kommt, hat einen Durchmesser von gut und gerne 50 Zentimetern - groß genug, um alle, die sich an den langen Tisch gesetzt haben, zu versorgen. Rund 25 ältere Männer und Frauen sind es. "Wie jede Woche", konstatiert Petra Smulders vom vierköpfigen Küchenteam, das sich jeden Dienstag ein anderes Dreigängemenü ausdenkt - ehrenamtlich, versteht sich.

Mitessen kann jeder um 6,50 Euro. Aber die eigentliche Zielgruppe, das sind die Mitglieder der sogenannten Zorgcooperatie: Sie zahlen einen Euro weniger.

Zu dieser Alterspflege-Genossenschaft haben sich in Hoogeloon 250 Senioren zusammengeschlossen - mehr als zehn Prozent der Dorfbevölkerung. Das war bereits 2005. "Unser Ziel ist es, die Aufnahme in ein Pflegeheim möglichst lange hinauszuzögern", erklärt Vorsitzender Ad Pijnenborg. "Deshalb beschlossen wir, unseren Lebensabend selbst zu regeln." Sie erledigen, was sie selbst erledigen wollen und können: kochen, Bastelnachmittage, gemeinsam Kekse backen, Spaziergänge.

Ansonsten sorgen ehrenamtliche Helfer für sie: Gymnastik, Haushalts- und Putzhilfe, ärztliche Behandlung und Versorgung zu Hause in den eigenen vier Wänden. Bezahlt werden diese Leistungen von Kranken- und staatlicher Pflegeversicherung.

Landesweites Vorbild

"Selbstverständlich appellieren wir auch an die Familienmitglieder der Senioren, mitzuhelfen und anzupacken, wo und wann immer es geht", betont Pijnenborg.

Im vergangenen Jahr sorgte die Genossenschaft zusammen mit einer Wohnungsbaugesellschaft sogar für den Bau von zwei "Zorg-Villas" für jeweils sieben Senioren: Da sind Alzheimerpatienten untergebracht, aber auch alte Menschen mit geistigen Behinderungen. Beide Häuser liegen im Dorf, unweit des Seniorentreffs.

Mittlerweile gibt es im ganzen Land ähnliche Initiativen. Hoogeloon gilt als leuchtendes Vorbild dafür, wie Bürger selbst aktiv werden können und die Hemdsärmel hochkrempeln, statt sich zurückzulehnen und auf den Wohlfahrtsstaat zu vertrauen - erst recht nachdem König Willem Alexander kürzlich im Namen der sozialliberalen Regierung in seiner ersten Thronrede das Ende des klassischen Sozialstaates angekündigt hat - und den Beginn der Partizipationsgesellschaft: "Jeder, der dazu fähig ist, trägt die Verantwortung für sein Leben und seine Umgebung", so der König.

Erwartungen an den Staat sollte der Bürger also langsam, aber sicher zurückschrauben; er muss selbst schauen, wo er bleibt: "Wer seinen Job verloren hat, kann nicht länger damit rechnen, mit Arbeitslosengeld nach Hause geschickt zu werden", erklärt der sozialdemokratische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem. "Irgendetwas kann man immer noch tun." Und Fraktionsvorsitzender Halbe Zijlstra von den Rechtsliberalen rechnet vor: "90 Prozent aller Niederländer machen von irgendeiner Sozialleistung Gebrauch." Das könne so nicht weitergehen.

Für die Oppositionsparteien hingegen ist der königliche Aufruf nichts anderes als eine Ausrede für weitere drastische Einsparungen, die dem Land trotz der ebenso schweren wie hartnäckigen Rezession verordnet werden sollen. Dabei ist die Arbeitslosigkeit mit über acht Prozent so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Wirtschaft schrumpft. Und das Budgetdefizit wird 2013 trotz Sparplans bei 3,3 Prozent liegen. Um es endlich wieder unter die Maastricht-Norm von drei Prozent zu bringen, sollen weitere sechs Milliarden eingespart werden: durch Steuererhöhungen und Kürzungen, etwa beim Kinder- und Arbeitslosengeld, aber auch im Gesundheitswesen und bei der Altenpflege, denn dort sind die Kosten regelrecht explodiert.

"Bürger kann vieles besser"

Das Beispiel Hoogeloon zeigt, dass tatsächlich weniger Kosten anfallen können, wenn die Bürger selbst Regie führen. Die Hilfe ist zudem weniger anonym, maßgeschneidert, effektiver - und damit billiger: "Wir kaufen nur das ein, was wir auch wirklich brauchen", sagt Vorsitzender Pijnenborg. Wobei nicht vergessen werden dürfe, dass das Motiv für die Gründung Unfrieden über die staatlich organisierte Hilfe war. "Der Bürger kann vieles viel besser regeln als der Staat." Aber das hätten ganze Generationen vergessen: "Stattdessen wurde der Sozialstaat idealisiert", so Pijnenborg, der dessen Ende nur begrüßt: "Es lebe die Partizipationsgesellschaft!" (Kerstin Schweighöfer, DER STANDARD, 11.10.2013)