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Tea-Party-Aktivisten in Aktion.

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US Speaker John Boehner und seine Mannen im Kapitol.

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Jacob Kirkegaard hält Steuererhöhungen zur Defizitsenkung für unausweichlich. 

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Standard: Kommende Woche oder auch etwas später könnte die Schuldengrenze erreicht werden. Droht den USA ohne politische Einigung die Insolvenz?

Kirkegaard: Viele reden über eine Staatspleite, das wird auf gar keinen Fall passieren. Aber dass ein Ausfall nur dadurch verhindert wird, dass die Schuldentilgung Vorrang erhält, ist schon ein starkes Stück. Das bedeutet, dass die USA einen ausgeglichenen Haushalt benötigen, was wiederum zu einer Konsolidierung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts führen würde. In diesem Szenario stürzen die USA mit Sicherheit in eine tiefe Rezession.

Standard: Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass die Schuldengrenze nicht angehoben wird?

Kirkegaard: Die Republikaner werden das nicht durchziehen. Ihre Umfragewerte sind stark gefallen. Ursprünglich wollten sie Obamacare ganz absägen, dann ging es nur mehr um eine Verschiebung. Letztlich könnte der Präsident eine sehr kurzfristige Verschiebung der Gesundheitsreform akzeptieren.

Standard: Wie könnte die Kurve noch gekratzt werden?

Kirkegaard: Das ist eine Frage des politischen und wirtschaftlichen Drucks: Wenn der Aktienindex um 2000 Punkte fällt, haben wir morgen einen Deal. Und das wird er wohl am 16. Oktober tun. Das kann man mit den Problemen in der Eurozone vergleichen: Immer wenn die Krise aufs Neue ausbrach, wurden politische Handlungen gesetzt. Nur ist die Lage in den USA viel schlimmer als in Europa, wo fundamentale Reformen herbeigeführt wurden, bei denen die Mitgliedsstaaten viele Kompetenzen an Brüssel abtraten. Was hier so entmutigend ist: Dieser riesige Druck der Öffentlichkeit, der Märkte und der internationalen Staatengemeinschaft auf Washington wird benötigt, um Routineentscheidungen zu treffen und alltägliche Schritte zu setzen.

Standard: Was heißt das für die weitere Entscheidungsfindung im Kongress?

Kirkegaard: Im besten Fall wird das Problem um sechs Wochen hinausgeschoben, und wir stehen Mitte November vor demselben Problem. Das zeigt, wie zerbrochen das politische System in Amerika ist.

Standard: Verlieren die Republikaner durch den Streit Reputation?

Kirkegaard: Die Republikaner haben eine Krise provoziert, ohne Strategie, ihre Ziele zu erreichen, ohne Exit. Das ist echt verrückt. Um Obamacare zu verschieben, müsste das Gesetz ja in den Senat, in dem die Republikaner keine Mehrheit haben. Man kann dem Senat nicht einfach eine Waffe an den Kopf halten. So haben sich die Republikaner selbst ins Out manövriert. Das Ganze erinnert an Berlusconi. Er und die Republikaner nehmen ein Land in Geiselhaft. Politische Instabilität und wirtschaftliche Krise werden zum eigenen Nutzen in Kauf genommen. Auch die Republikaner sagen: Wenn du uns nicht alles gibst, was wir wollen, gibt es eine Staatspleite. Das ist nichts anderes als eine Geiselnahme.

Standard: Kann der Riss zwischen den beiden Parteien im Kongress wieder genäht werden?

Kirkegaard: Das Bindeglied zwischen Demokraten und Republikanern war immer schon die Kontrolle des Geldes. Daher haben sich die Republikaner auch immer um die Business-Community gekümmert. Durch die extrem konservativen Geldgeber der Tea Party haben sie das nicht mehr notwendig.

Standard: Woher rühren die harten Positionen, wenn diese nicht mehrheitsfähig sind?

Kirkegaard: Das hat viel mit den manipulierten Wahlkreisen zu tun, in denen die Mitglieder des Repräsentantenhauses gewählt werden. Da müssen sich die Politiker nicht an der Mitte orientieren, weil ohnehin nur Tea-Party-Wähler dort leben. Darum sind sie so extrem und kompromisslos. Im Senat ist das anders: Wenn Politiker für den Senat kandidieren, muss man die Mitte ansprechen, also kompromissbereit sein. Das Gleiche gilt für Präsidentschaftswahlen. Die Wahlkreise müssten von unabhängigen Stellen festgelegt werden, nicht durch die Bundesstaaten.

Standard: Ist die republikanische Partei in dieser Form überhaupt noch zukunfts- und überlebensfähig?

Kirkegaard: Das Problem ist, dass die Partei inhaltlich de facto schon auseinandergefallen ist. Allerdings wird man sich bei Wahlen immer zusammenraufen, weil jeder weiß, dass sonst die Demokraten gewinnen. Das Wahlsystem verhindert, dass eine dritte eigenständige Partei entsteht. Dabei hat auch die Entscheidung des Höchstgerichts eine Rolle gespielt, anonyme Parteispenden unlimitiert zuzulassen. Was wir jetzt erleben, ist eine permanente Krise. Das führt zu Unsicherheit, und das schadet der Wirtschaft.

Standard: Aber laufend die Schulden erhöhen wird auch nicht ewig funktionieren.

Kirkegaard: Es gibt keinen Zweifel daran, dass die USA ein Fiskalproblem haben. Langfristig kommen riesige Herausforderungen wegen der Alterung der Gesellschaft im Gesundheits- und Pensionsbereich hinzu. Da benötigt es Strukturreformen. Aber die Vorschläge der Republikaner vergrößern diese Probleme, weil die Ausgabenkürzungen Wachstumsbereiche wie Bildung und Forschung treffen und die verlangten Steuersenkungen das strukturelle Defizit erhöhen würden. Meiner Meinung nach sollte die Budgetlücke durch Steuererhöhungen geschlossen werden. Aber das ist unrealistisch, da gibt es sogar bei den Demokraten Widerstand, weil höhere Abgaben auch den Mittelstand treffen. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 11.10.2013)