Halle - Lange Zeit nahm man an, dass Kristalle immer regelmäßig und in einer periodisch wiederkehrenden Struktur aufgebaut sind. Erst die 2011 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichneten Arbeiten des israelischen Physikers Dan Shechtman konnten zeigen, dass es auch andere Kristallformen gibt, die zuvor unvorstellbar waren und zum Beispiel fünfeckige Kristallflächen aufweisen. Diese als Quasikristalle bezeichneten Kristall-Strukturen haben ein geordnetes Gitter, das sich aber nirgends wiederholt. Man nennt sie deshalb auch aperiodische Kristalle.

Quasikristalline Oxidschicht

Wissenschaftern der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) konnten nun zeigen, dass es möglich ist, aus Oxiden einen Quasikristall aufzubauen. Solche Strukturen waren bisher nur bei wenigen Metalllegierungen und sehr weichen Kolloidsystemen zu finden. Die auf dieser Basis entwickelten Materialien haben und technologisch hochinteressante Eigenschaften. Das gelang ihnen in dünnen Schichten, die auf einer Metallunterlage präpariert worden waren. Die gefundene quasikristalline Oxidschicht ist nur wenige Atomdurchmesser dick, bildet sich aber perfekt aus, wie Elektronenbeugung und atomar aufgelöste Mikroskopie zeigen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin "Nature" veröffentlicht.

Seit der Entdeckung des Graphens, eines atomar dünnen Kohlestoffkristalls, durch Konstantin Novoselov und André Geim, die 2010 den Nobelpreis für Physik erhielten, sind Materialien mit einem zweidimensionalen Charakter ein wichtiges Forschungsgebiet in den modernen Materialwissenschaften geworden. Die neue Entdeckung fügt dieser Entwicklung ein weiteres Kapitel hinzu: „Es ist die zweidimensionale Grenzfläche zwischen Oxid und Metall, der Wettstreit zwischen unterschiedlicher Materialien und Symmetrien an dieser Grenzfläche, der diese quasikristallinen Oberflächen erst entstehen lässt. Ohne diesen Wettstreit würden sich nur ganz normale und bekannte kubische Oxidkristalle ausbilden", erläutert Widdra.

Breite technologische Einsatzmöglichkeiten

Die Forscher beobachteten zunächst, dass Bariumtitanat, das normalerweise eine Perowskit-Struktur ausbildet, bei Abscheidung auf einem Platinkristall unter hohen Temperaturen ein ungewöhnliches Elektronenbeugungsmuster zeigt - was auf eine aperiodische Anordnung der Atome hindeutet. Aufklärung brachte die direkte Abbildung des atomaren Aufbaus der Schicht mit Hilfe der Rastertunnel­mikroskopie. Damit konnte gezeigt werden, dass die dreieckigen und quadratischen atomaren Strukturen ein sich nicht wiederholendes quasikristallines Fliesenmuster bilden.

Neben ihrem ästhetischen Reiz besitzt die nun entdeckte quasikristalline Oxidschicht vor allem ein großes Potenzial für technische Anwendungen. Derartige Oxidschichten können viele ungewöhnliche Eigenschaften der Quasikristalle - sehr niedrige Reibung, geringe Haftung an der Oberfläche und niedrige Wärmeleitung - nun mit der Vielzahl der Eigenschaften der Perowskit-Oxide verbinden.

Bereits bekannte Eigenschaften von metallischen Quasikristallen finden auch im Alltag Anwendung: So sind Antihaft-Beschichtungen für Bratpfannen aus solchen Materialien im Gegensatz zu Teflon gleichzeitig kratzfest. Quasikristall-beschichtete Klingen in Rasierapparaten sind härter und länger funktionsfähig. Die nun entdeckten Oxid-basierten Quasikristallschichten könnten chemisch stabiler als die bisherigen Metalllegierungen sein und Werkstoffe widerstandsfähiger machen, glauben die Forscher. Neue, ultradünne und chemisch stabile Oberflächenbeschichtungen sind für den Einsatz mit biokompatiblen Werkstoffen, zum Beispiel im Bereich der modernen Implantationsmedizin, von Interesse. (red,derStandard.at, 13.10.2013)