Concorde

Wien – Ein großbürgerliches Ambiente, hinter dessen Kulissen Schuld und Lüsternheit lauern; ein junger Mann (Benoît Magimel), der nach Jahren im Ausland zu Hause feststellt, dass die Katastrophe vielleicht gerade darin begründet ist, dass alles beim Alten geblieben ist – und bleiben wird. Seine (Halb-?)Schwester (Mélanie Doutey), mit der er sich möglicherweise selbst hart an den Rand zum Inzest begibt. Oder: Eine Dame (Suzanne Flon), die eben das "Alte" so herzgewinnend verkörpert, dass man sich fragt, wie viele Dämonen hier noch hinter Spitzenstores lauern.

Kurz: Mit rein gar nichts Neuem wartet an und für sich Claude Chabrols neuer Film Die Blume des Bösen auf. Es würde einen nicht wundern, wenn anfangs ein Kommissar wie "Der Alte" in den Wintergarten treten würde. Aber wo ist der Fall? Ja, denunziatorische Flugblätter kursieren in einem Bürgermeister-Wahlkampf, den Frau Mama (Nathalie Baye) unbedingt gewinnen will. Um den Herrn Papa, der ihr nicht immer treu ist, kann sie sich da nicht kümmern. Und irgendwann stellt sich gleichsam von selbst, vielleicht auch, weil es solche Geschichten verlangen, die Frage: Wie schleift man eine schwere Leiche die Treppe hoch?

Solche Geschichten: Bei Simenon, in den Filmen der Série Noir, vielleicht auch bei Agatha Christie hat Claude Chabrol gelernt, dass hier zwar durchaus immer Erwartbares geboten werden muss, dass aber gleichzeitig eben diese Erwartbarkeiten wunderbare Freiräume öffnen: für ein jähes Innehalten, beiläufige Seitenblicke über den Tellerrand eines "Falls" hinaus oder für ein Spiel mit Klischees, die jäh das Format antiker Tragödien gewinnen können – wäre nicht alles so grausam lächerlich.

Insofern ist Die Blume des Bösen ein wahrhaft virtuos gewobenes Netz beiläufigster Beobachtungen, ein auf den ersten Blick unaufwändiges Alterswerk, das sich aber zunehmend als scharfe Satire auf die Bourgeoisie (und was von ihr übrig blieb) erweist. Eine Bourgeoisie, die immer noch monarchistischen Träumen anhängt, gleichzeitig kleinbürgerlichste Attitüden übernommen hat und trotzdem etwa mit einem proletarischen Umfeld (hier: der so genannten Wählerschaft) rein gar nichts anfangen kann.

Die Szenen, in denen sich Nathalie Baye alten Arbeiterfamilien verständnislos nähert, gehören wohl zu den besten im französischen Spielfilm der letzten Monate. Als Abrechnung auch mit Frankreich unter Chirac, in dem die so genannte Linke ihrer Klientel auch keine wirklichen Alternativen zu bieten hat. Fazit: ein sanftmütiges, mildes Werk – aber die volle Härte. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.8.2003)