Song and Dance

impulstanz

Question for Next Year

impulstanz
Langsam nähert sich das auch heuer wieder äußerst erfolgreiche Wiener Festival ImPulsTanz dem Ende


Wien - Der Körper ist ein Hybrid. Jeder Mensch hat einen und ist einer, spürt den seinen und sieht den des Gegenübers. Einsicht und Ansicht verzerren die Wahrnehmung des menschlichen Körpers. Verleugnung und Verherrlichung machen das Fleisch zum Politikum, dualistische Ideologien spalten es in Geist und Körper, Seele und Leib auf.

Im Tanz werden diese Spannungsfelder neu diskutiert, das Körperhybrid wird in Bewegung gebracht. Eine Schlüsselfrage im Tanz ist: Wie können jene inneren Systeme, die die Mobilität des Körpers ausmachen, mit den äußeren Bildern, die er in den Betrachtern hervorruft, zu künstlerischen Statements verknüpft werden? Der daraus entstehende Konflikt ist das Modell eines kulturellen Virus, der das Verhältnis sowohl des Einzelnen als auch der Gesellschaft zum menschlichen Körper seit jeher infiziert.

Die österreichischen Choreografen Milli Bitterli und Willi Dorner sowie die in Prag arbeitende Tschechin Kristyna Lhotáková umreißen in ihren bei ImPulsTanz gezeigten Arbeiten diese Infektion aus drei verschiedenen Perspektiven: Bitterli aus dem Blickwinkel der Formalität, Lhotáková aus jenem der Sozialität und Dorner aus dem der Medialität.

Bitterli öffnete an ihrem dreiteiligen Abend außerdem einen Konfliktherd, der den zeitgenössischen Tanz aktuell sehr beschäftigt. Was bedeutet der analytische, "konzeptuelle" Zugang? In dem von der Österreicherin Christine Gaigg für Bitterli choreografierten Tanzmonolog how to be tool wird eine präkonzeptuelle Position ersichtlich, das von der Belgierin Christine De Smedt erarbeitete Solo with Mathilde Erlbacher ist konzeptuell geprägt. In ihrer neuen Arbeit, Silence Sucks (Stille saugt), entzieht sich Bitterli der Frage, weicht in Formalismus aus. Der US-Choreograf Merce Cunningham, der in den 50ern den Tanz-Expressionismus überwunden und die Tanz-Postmoderne der 60er umschifft hat, hinterlässt einen Unschärfebereich zwischen Abstraktion und Konzeptualität, dessen Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Zum Beispiel bei Silence Sucks (Stille saugt). Bitterli bedient sich hier der Metapher des Wasserballetts.

Abtauchen ins Nichts

Der Musiker Bernhard Loiber gießt ein gewaltiges Becken aus betonharten Sounds, der Lichtdesigner Jan Wagner flutet eine tiefgrüne, dann UV-blaue und schließlich bleiern graue Fläche auf die Bühne. Fünf Figuren "schwimmen" auf dieser Ebene, im Vordergrund hebt eine Gestalt eine andere hoch. Aus diesem Grundmuster baut Bitterli ihre hoch formalen Konstellationen, und dabei taucht die Individualität der Tänzer immer wieder ins Nichts.

Kristyna Lhotáková lässt sich auf eine derart formalistische Gesellschaftsdarstellung nicht ein. Sie bricht Question for Next Year mit dem Klischee der jugendlichen Tanzfigur. Im Duett mit der 78-jährigen Ivana Gottliebová projiziert die 26-jährige Choreografin die Vergangenheit ihres Heimatlandes auf die Bühne.

Der Körper der Zeitzeugin scheint leicht und zerbrechlich, doch das Sichtbarwerden ihrer Erfahrungen verleihen ihm symbolisches Gewicht. Lhotáková und Gottliebová erzählen mit Gesten, Bildern und Metaphern eine kurze Geschichte vom langen, schweren Leben unter verschiedenen politischen Systemen.

Willi Dorner hat drei Experimentalfilmer eingeladen, sich mit seiner Choreografie Mazy auseinander zu setzen. Johannes Hammel, Norbert Pfaffenbichler und Michaela Schwendtner konnten beachtliche Kurzformen generieren.

Am radikalsten tut das Schwendtner mit dem Video how do you want m.? Sie löscht das Bild der Tänzerin nahezu vollständig aus und vermittelt damit, dass der menschliche Körper nicht ins Bildmedium zu transferieren ist. Ihr Formalismus trifft sich hier mit jenem Bitterlis, die in Silence Sucks die Unmöglichkeit der Darstellung einer Gesellschaft auf der Bühne behauptet. (DER STANDARD; Printausgabe, 05.08.2003)