André Heller brachte Stermannn/Grissemann künstliche Rotzglocken mit.

Screenshot: TVthek

André Hellers Auftritte im heimischen Fernsehen sind selten geworden. Als Heller dem Rundfunk vor bald 50 Jahren seine vor Müdigkeit bebende Stimme lieh, schien manches möglich.

Damals war Heller bekennender „Rotzbub". In einem Land verstockter Besitzstandswahrer sorgte er für die Erweiterung des Horizonts. Das Spielen eines Bob-Dylan-Liedes im Radio glich dem Aufsperren eines Tabernakels. Heller entdeckte, dass es dem Weltgeist gefiel, im Café Hawelka zu überwintern. Aus der dort erhaltenen Ausbildung zog er fast nur richtige Schlüsse. Mit John Lennon fuhr er, als der in Wien weilte, auf den Zentralfriedhof.

40 Jahre später gleicht ein Fernsehauftritt Hellers im ORF ("Willkommen Österreich") dem Besuch eines Domorganisten in einer für ihre Reinlichkeit nicht eben berühmten Spelunke. Er brachte - unappetitliche Frucht eines alten Spaßes mit H. C. Artmann - Stermann und Grissemann ein Paar künstlicher Rotzglocken mit. Er hätte das auch sein lassen können. Heller gehört zu den raren Menschen, die es verstehen, ihre Biografie mit dem Lauf der Welt untrennbar zu verknüpfen.

Heller erzählte, wie er mit 79 anderen Internatszöglingen auf einen rotglühenden Ofen zu onanieren pflegte. Der Heizkörper zischte unter der erlittenen Bedrängnis schmachvoll auf. Als Erzählung enthält die Episode wenig Erbauliches. Indem der Poet das Augenmerk jedoch auf das Geruchsklima lenkte, erstand eine ganze Epoche vor Augen.

André Heller hat heute graues Haar und besitzt einen oliven Teint. Wahrscheinlich gibt ihm ein flüchtiger Kuss des Wüstenwindes unter marokkanischen Palmen mehr als die klügste Frage eines ORF-Moderators. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 10.10.2013)