Graz - Kachexie - die hochgradige körperliche Auszehrung - ist eine schwerwiegende Komplikation von Krebserkrankungen. Die Entstehung krebsassoziierter Kachexie haben Forscher der Universität Graz bereits mit der Aktivität des fettspaltenden Enzyms ATGL in Verbindung gebracht. Nun haben sie den ersten entsprechenden ATGL-Hemmstoff entwickelt. Er wurde in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals "Nature Chemical Biology" präsentiert.

Viele Krebspatienten verlieren im späteren Verlauf ihrer Erkrankung in dramatischem Ausmaß Fett- und Muskelmasse, wobei diese extreme Auszehrung sogar häufig die eigentliche Ursache von Krebstodesfällen ist. Forscher der universitätsübergreifenden Grazer Forschungsinitiative "BioTechMed" haben bereits gezeigt, dass die Entstehung der Kachexie mit der Aktivität eines fettspaltenden Enzyms - der "Adipose Triglyceride Lipase" (ATGL) - in Zusammenhang steht: Mäuse, denen dieses Enzym fehlt, zeigen bei Krebs fast keine Kachexie, sie behielten ihren Körperfettanteil und haben kaum Muskelsubstanz verloren. Kachektische Krebspatienten hingegen weisen hohe ATGL-Spiegel auf. Vision der Forscher ist es, mit der medikamentösen Hemmung von ATGL, den Abbau von Fett- und Muskelmasse zu regulieren.

Mögliche Herzverfettung

Nun hat das Team rund um Robert Zimmermann, von der Universität Graz und Rolf Breinbauer von der Technischen Universität in Graz einen ersten Inhibitor entwickelt, der ATGL gezielt hemmt. Sein Name Atglistatin. Die Entwicklung dauerte über vier Jahre und zog die Synthese (TU Graz) und Testung (Uni Graz) von mehr als 300 infrage kommenden Molekülen mit sich, bis schließlich eines die gewünschten Eigenschaften besaß, so die beiden Teamleiter. Grundproblem ist, dass die dreidimensionale Proteinstruktur von ATGL, die man für computerunterstützte Modellierung heranziehen könnte, noch gar nicht bekannt ist. "Der Prozess ist vergleichbar mit der Orientierung im stockfinsteren Raum: Hindernisse und Sackgassen sind selbstverständlich, aber je mehr man sich bewegt, desto mehr Gespür bekommt man für die richtige Richtung", schilderte Breinbauer.

Eine medikamentöse Intervention, die die Kachexie verhindern könnte, brächte vielen Krebspatienten einen Lebenszeitgewinn. Nähere Untersuchungen in Graz haben aber auch gezeigt, dass eine genetische Hemmung von ATGL die Ausschüttung von Fettsäuren und Triglyzeride ins Blut hemmt und den Abbau von Glukose fördert - was auch vor Insulinresistenz und folgendem Diabetes Typ 2 schützen könnte: "Das Molekül könnte somit sowohl die Erkrankung an Diabetes Typ 2 als auch Kachexie verhindern", so die Grazer Forscher in ihrer Publikation. Zugleich warnen sie vor verfrühter Euphorie: Es bleibe zu beachten, das ATGL-Mangel zu Herzverfettung und in der Folge zur Kardiomyopathie, einer schweren Herzmuskelerkrankung, führen kann - wenn auch in einer sehr langsam fortschreitenden Entwicklung. (red/APA, derStandard.at, 7.10.2013)