Mirko Bonné: "Nie mehr Nacht", Schöffling & Co., Frankfurt/Main 2013, 356 Seiten, € 20,52

Cover: Schöffling & Co.

Frankfurt/Main - Montag, unmittelbar vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, wird der Deutsche Buchpreis verliehen. Fünf der sechs Neuerscheinungen, die es auf die Shortlist geschafft haben, stellte DER STANDARD bereits vor. Bleibt nur mehr der wie ein Triptychon aufgebaute Roman Nie mehr Nacht: Mirko Bonné, geboren 1965 am Tegernsee, lässt einen Mann gleichen Alters in eine Lebenskrise geraten.

Der in Hamburg lebende, in der Kunstgeschichte äußerst bewanderte Ich-Erzähler erhält den eher sonderbar anmutenden Auftrag, für ein Heft über den D-Day am 6. Juni 1944 Zeichnungen von vier Brücken anzufertigen, um die erbittert gekämpft worden war. Markus Lee fährt also über die Herbstferien in die Normandie.

Im Gepäck hat er Gottfried Kellers Der grüne Heinrich, mit dem er nicht nur den Nachnamen, sondern auch ein ähnliches Schicksal teilt, sowie das Buch eines britischen Soldaten namens Lee - welch Zufall! - über dessen Erlebnisse während der Invasion. Begleitet wird der Erzähler von seinem 15-jährigen Neffen Jesse. Dieser darf seinen Freund Niels besuchen, der mit seinen Geschwistern und Eltern an der Küste ein verlassenes Hotel hütet.

Der Klappentext verspricht eine "so rasante wie poetische Roadnovel". Doch diese Einordnung führt in die Irre. Denn rasant ist der Roman nicht: Der Autor beschreibt selbst Nebensächlichkeiten mit größter Ausführlichkeit. Zudem endet die "Roadnovel" bereits mit der Ankunft in der Normandie - nach genau einem Drittel.

Im Mittelteil scheitert Lee, Peter Handkes Antihelden nicht unähnlich, mit seiner "Brückenbefragung". Die Gedanken kreisen um seine Schwester Ira, die Selbstmord begangen hatte; er möchte ihr folgen - und sich ins Nichts auflösen. Bonné nimmt Motive seines Romans Wie wir verschwinden (2009) auf, er konstruiert Zufälle, denn der Zufall sei "die Sprache der Welt", andauernd gibt es Verweise und Anspielungen - auf Flaubert, auf Die Regenschirme von Cherbourg, auf Kurt Cobain und Ian Curtis, die sich, wie Ira, das Leben nahmen.

Im dritten Teil findet Markus dank einer Frau, die nicht ganz zufällig wie seine Schwester aussieht, zurück ins Leben. Ihr gesteht er ein, mit Ira ein inzestuöses Verhältnis gehabt zu haben. Ob Jesse sein Sohn ist, bleibt aber, wie so viele andere Fragen, offen.

Und nie mehr erreicht Bonné die Intensität des ersten Teils: Er beschreibt die Kommunikation beziehungsweise eher das Schweigen zwischen Markus und seinem präzise charakterisierten Neffen während der Autofahrt äußerst treffend. Irgendwann fragt sich der Erzähler, wie er mit Jesse zurechtkommen solle, "wenn erst der große Krach zwischen uns ausbrach". Man wartet auf ihn leider vergeblich. Die beiden stellen bloß fest, dass sie immer an Ira denken müssen, "immer und immer". Danach ist das Interesse von Markus an Jesse erloschen. Schade. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 7.10.2013)