Starke Frauen auf der Bühne: Nina Stemme.

Foto: Tanja Niemann

Wien - Giacomo Puccini selbst hielt La Fanciulla del West für seine gelungenste Oper. Sopranistin Nina Stemme, die an der Wiener Staatsoper die einzige große Frauenrolle im Goldgräberdrama singt, kann diese Einschätzung verstehen. Vor zwei Jahren hat sie die Minnie in einer Stockholmer Produktion gegeben, die inzwischen auch auf DVD erschienen ist. Nach Wien singt sie im kommenden Frühjahr auch in Paris.

Dabei musste sich die Sängerin erst einmal an diese Rolle gewöhnen: "Meine Arien sind schon ein wenig seltsam: entweder schlicht wie Volkslieder oder ganz happy, happy, happy. Minnie zeigt sich als eine fröhliche Person, die sich gerne wegträumt. Aber sobald sie unter all diesen Männern ist, muss sie die Chefin sein. Das gibt es ja oft - bei anderen Puccini-Opern oder auch bei Wagner: nur eine meistens starke Frau und mehrere Männer."

Diese Situation ist Stemme auch aus dem Arbeitsalltag nicht ganz unbekannt: "Es ist manchmal auch bei den Proben komisch, die einzige Frau zu sein, wenn die Männer nur scherzen, während man etwas Ernsthaftes machen und sich konzentrieren will. Das war vor allem so, als ich jünger war."

Puccinis "amerikanische" Oper, die 1910 an der New Yorker Met uraufgeführt wurde, hat für Stemme nichts an Brisanz eingebüßt: "Man kennt ja vor allem die Wild-West-Bilder dazu, wo man sentimentalisierte und romantisierte Cowboys und Indianer gezeigt hat. Aber das ist nicht das, was Puccini wollte. Er wollte eine herbe Atmosphäre voller Einsamkeit: Alle sind weg von zu Hause und hoffen, einmal mit ein bisschen Reichtum zurückzukehren. Aber viele sterben. Ich glaube, die Geschichte lässt sich auch gut auf unsere Zeit übertragen, wenn wir an die ganzen Flüchtlingstragödien denken."

Entsprechend zeitunabhängig deutet sie auch ihre Figur: "Minnie sagt von sich selbst, sie sei nichts wert. Sie hat nie studieren können, wollte immer mehr. Aber eigentlich ist das Thema, dass es immer, für jeden Menschen eine Hoffnung gibt. Jeder kann sich ändern. Ich denke, da können sich viele ein bisschen erkennen. Dass unsere Inszenierung etwas moderner aussieht, lässt allgemeinere Interpretationen möglich werden. Die Schicksale, die auf der Bühne gezeigt werden, finden wir jedenfalls heutzutage auch: getrennt zu sein von seiner Familie, Sehnsucht nach zu Hause zu haben, nicht wissen, ob die anderen nachkommen können."

Wie groß war für sie die Umstellung von der Stockholmer Inszenierung zur ganz anders gearbeiteten Wiener Regie? Stemme: "In Stockholm hat Christoph Loy eine Innenwelt gezeigt, sehr bedrückend und klaustrophobisch, bei der sich alles mehr oder weniger in einem engen Raum abgespielt hat. Natürlich ist die Wiener Staatsoper viel größer, sodass man das Stück schon deshalb anders zeigen muss. Marco Arturo Marelli, der ja Bühnenbild, Licht und Regie macht, zeigt einen ungewohnt herben Schauplatz. Und er geht stark auf die Sänger ein. Ich glaube, es ist ihm hier wirklich etwas Wunderbares gelungen."

Die Sängerin des Jahres 2012 (laut der Zeitschrift Opernwelt), die zuletzt vor allem mit großen Wagner-Partien reüssierte, blickt ansonsten ihren künftigen Herausforderungen gelassen entgegen: "Man muss immer Lust haben auf die weitere Entwicklung, darf nicht stillstehen. Vor 15 Jahren wäre ich glücklich gewesen, einmal eine gute Sieglinde zu singen. Von Brünnhilde hätte ich nicht zu träumen gewagt. Als ich in Köln begonnen habe, hatte ich als erste Rolle die fünfte Magd in Elektra zu singen. So soll es sein, man darf nicht ganz oben beginnen. Und jetzt bereite ich gerade die Hauptpartie vor (für 2015/16 in Wien und New York, Anm.)." (Daniel Ender, DER STANDARD, 5./6.10.2013)