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Opfer der Flüchtlingstragödie im Hafen von Lampedusa.

Foto: AP Photo/Mauro Buccarello

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Unter den Toten befinden sich auch mindestens vier Kinder.

Foto: EPA/NINO RANDAZZO

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155 Menschen konnten in Sicherheit gebracht werden.

Foto: REUTERS/Italian Coast Guard

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Karte von Italien und Nordafrika.

Grafik: APA

Wegen der rauen See haben die Tauchmannschaften ihre Suche nach den Leichen rund um das Wrack des am Mittwoch vor der Insel Lampedusa gesunkenen Flüchtlingsboots unterbrochen. Motorboote der Küstenwache mit Tauchern an Bord befinden sich noch in der Nähe des Wracks. 111 Leichen wurden bisher geborgen, 155 Menschen konnten in Sicherheit gebracht werden. Viele Leichen befanden sich noch im Wrack. Die Behörden vermuten, dass die Bilanz der Flüchtlingstragödie auf über 300 Todesopfer wachsen wird.

Mehr als 140 Särge wurden mittlerweile mit einer Fähre aus Sizilien in den Hafen von Lampedusa gebracht. Vier Flüchtlinge, deren Gesundheitszustand als besonders kritisch eingestuft wurde, wurden in ein Krankenhaus in Palermo geflogen. Die anderen Überlebenden befinden sich im Auffanglager von Lampedusa, in dem sich derzeit mehr als 1.000 Menschen aufhalten. Dabei hat das Auffanglager lediglich 250 Plätze. Mehrere hundert Migranten sollen deshalb auf das italienische Festland gebracht werden.

UN-Berichterstatter kritisiert Europas Einwanderungspolitik

Der UN-Sonderberichterstatter für die Rechte von Migranten, François Crepeau, kritisierte nach dem Flüchtlingsdrama die europäische Einwanderungspolitik. "Diese Toten hätten vermieden werden können", sagte Crepeau am Donnerstag vor der UN-Vollversammlung in New York. Die illegale Einwanderung könne nicht ausschließlich mit repressiven Maßnahmen bekämpft werden, so der kanadische Jurist. Dieses Vorgehen stärke nur die Macht der Schlepper.

Crepeau rief die Staatengemeinschaft dazu auf, die Möglichkeiten für eine legale Einwanderung auszubauen. Sanktionen müssten nicht die Flüchtlinge treffen, sondern beispielsweise die Arbeitgeber, die illegale Einwanderer beschäftigten. Das werde jedoch aus politischen Beweggründen unterlassen. In den Aufnahmeländern müsse die "Vorstellung von Vielfalt und Multikulturalität" akzeptiert werden.

Fischer: "Vorfall, der zum Nachdenken zwingt"

Bundespräsident Heinz Fischer zeigte sich am Freitag erschüttert über die "entsetzliche Katastrophe vor Lampedusa". Es handle sich um einen Vorfall, der zum Nachdenken zwinge. Das Flüchtlingsunglück sei ein europäisches Thema, das nun auch auf der europäischen Tagesordnung behandelt werden müsse. Weitere österreichische Politiker und Menschenrechtsorganisationen äußerten sich ähnlich zu der Flüchtlingstragödie.

"Europa muss sich in Anbetracht der verheerenden Vorfälle vor der Insel Lampedusa bedingungslos zur Hilfe bekennen. Die Ignoranz gegenüber Migrantinnen und Migranten, die auf offener See ihr Leben riskieren und sterben, ist nicht hinnehmbar und eines solidarischen Europa unwürdig", erklärte der SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer am Freitag in einer Aussendung.

Grünen-Menschenrechtssprecherin Alev Korun sieht die Ursache in der europäischen Flüchtlingspolitik. Diese müsse endlich konkrete Taten setzen, wenn sie weitere Flüchtlingstragödien vor den Toren Europas abwenden wolle. "Die rigide Abschottung Europas ist nicht nur kleinlich gemessen an dem geringen Prozentsatz an internationalen Flüchtlingen, die wir jährlich aufnehmen, sondern kostet jeden Tag Menschenleben", erklärte Korun in einer Aussendung am Freitag. "Für Menschen in einer verzweifelten Lage immer höhere Hürden zu bauen sorgt nur dafür, dass sie immer mehr riskieren müssen, um diese Hürden zu überwinden. Es löst aber das Problem nicht, vielmehr fördert die EU damit das Schleppergeschäft und auch überfüllte, unsichere Flüchtlingsboote."

Amnesty International forderte die Politik ebenfalls auf, sich mehr um Flüchtlinge zu kümmern. Die EU müsse vor allem die Investitionen in Suche und Rettung sowie die Zusammenarbeit ausbauen, anstatt immer mehr Geld auszugeben, um die Grenzen zu schließen, sagte der Leiter des Amnesty-Europabüros, Nicolas Berger.

EU-Kommission sieht Italien am Zug

Angesichts der Flüchtlingstragödie fordert Italien Hilfe von Europa - doch aus Sicht der EU-Kommission ist jetzt Italien selbst am Zug. "Kann man mehr tun? Ja, aber das ist eine Sache der Mitgliedsstaaten", sagte der Sprecher von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström am Freitag. Die Kommission handle nur auf Bitten aus betroffenen Ländern. Die EU helfe bereits, beispielsweise beim Grenzschutz im Mittelmeer.

"Man darf sich da keine Illusionen machen", erklärte der Sprecher. "Es ist angesichts des Einwanderungsdrucks, dem wir ausgesetzt sind, nicht realistisch zu denken, dass man jede Tragödie oder jeden Tod im Mittelmeer vermeiden könne. Wir sind da weder naiv noch zu idealistisch." Es gehe darum, Boote auf ihrem Weg nach Europa früher ausfindig zu machen.

Dabei helfen kann laut Kommission das Programm Eurosur, über das EU-Staaten und das Europaparlament derzeit miteinander verhandeln. Es soll den besseren Austausch etwa von Satellitendaten und eine engere Zusammenarbeit der Grenzschützer ermöglichen. Es könnte im nächsten Jahr in Kraft treten.

100 Menschen bei Mahnwache vor Innenministerium

Mehr als 100 Menschen haben am Freitagabend vor dem Innenministerium in Wien der Opfer der Flüchtlingstragödie von Lampedusa gedacht. "Das Boot ist leer" war auf Transparenten zu lesen, die Teilnehmer hatten Grabkerzen und ein Schlauchboot mitgebracht. Man habe sich bewusst den Platz vor dem Innenministerium ausgesucht, "weil die EU-Innenministerinnen und -minister endlich alles unternehmen müssen, damit weiteres sinnloses Sterben verhindert wird," sagte Caritas-Präsident Michael Landau in seiner Rede.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) forderte er auf, sich dafür einzusetzen, "dass sich Europa endlich tatkräftig zu internationaler Solidarität im Flüchtlingsschutz bekennt". Die Politik dürfte die Staaten an der EU-Außengrenze nicht länger alleine lassen, erklärte Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner. Denn "im Vereinten Europa grenzt Lampedusa auch an unser Land", fügte er in Anspielung auf die Dublin II-Verordnung hinzu, die festschreibt, dass jenes Land für die Asylsuchenden zuständig ist, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten.

In die Pflicht nahmen die Organisatoren dabei auch die österreichische Entwicklungszusammenarbeit (EZA), deren Mittel seit Jahren immer weiter gekürzt werden. Landau appellierte an die Regierung keine weiteres Abschmelzen der Mittel zuzulassen: "Nur wenn die Menschen eine Chance auf eine bessere Zukunft sehen, werden sie ihre Heimat nicht verlassen.

Bürgermeisterin: "Riesige Tragödie"

"Es ist ein absoluter Horror. Aus den Booten wird eine Leiche nach der anderen geholt", berichtete die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, am Donnerstag. Sie sprach von einer "riesigen Tragödie", die sich vor der Insel abgespielt habe. "Ich habe die Rettungsmannschaften gebeten, mir die Situation zu beschreiben. Sie haben geantwortet, dass das Meer voller Toter ist", sagte Nicolini. Premierminister Enrico Letta sprach ebenfalls von einer "riesigen Tragödie".

Lega Nord gibt Integrationsministerin Schuld an Tragödie

Die ausländerfeindliche Oppositionspartei Lega Nord nahm unterdessen die aus dem Kongo stammende Integrationsministerin Cecile Kyenge ins Visier, die sich in den vergangenen Monaten mit Nachdruck für eine Lockerung des geltenden Einwanderungsgesetzes starkgemacht hatte. Auch die Präsidentin der Abgeordnetenkammer, Laura Boldrini, ehemalige Sprecherin des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), wurde von der Lega wegen ihrer Appelle zur Aufnahme von Flüchtlingen scharf attackiert.

Kyenge und Boldrini seien für das Drama mitverantwortlich, erklärte der Lega-Abgeordnete Gianluca Pini. "Sie verbreiten heuchlerische Integrationsslogans, statt mit konkreten Taten die Länder der Dritten Welt zu unterstützen. Boldrini und Kyenge haben all die in diesen letzten Monaten ums Leben gekommenen Migranten auf dem Gewissen."

Kyenge: "Lega beleidigt Todesopfer"

Laut Lega-Chef Roberto Maroni haben weder die italienische Regierung noch die EU-Kommission ihre Pflichten bei der Bekämpfung des Menschenhandels erfüllt. "Sie unternehmen nichts, um die Abfahrt der Flüchtlingsboote aus Nordafrika zu verhindern", sagte Maroni. Die Lega Nord beschuldigt die EU, Italien bei der Bewältigung des Flüchtlingsnotstands im Stich gelassen zu haben.

Kyenge reagierte scharf auf die Kritik. "Die Worte des Parlamentariers Pini sind nicht nur eine Beleidigung gegen mich, sie beleidigen auch die Todesopfer", sagte die Ministerin. "Die Attacke der Lega ist unannehmbar", protestierte auch die linke Senatorin Anna Finocchiaro. (APA/red, derStandard.at, 4.10.2013)