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Der Niederländer Johan Simons hat das schwierige Pflaster München gemeistert - dennoch wird er 2015 sein Engagement am Haus beenden und trotz Heimweh die Ruhrtriennale übernehmen.

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STANDARD: Sie sprachen anlässlich Ihres Dienstantritts in den Münchner Kammerspielen 2010 von "Erfolg". Allerdings meinten Sie damals den gleichnamigen München-Roman Lion Feuchtwangers.

Simons: Wir haben das Buch als Lesung in zehn Teilen auf die Bühne gebracht. Die Schauspieler saßen am Biertisch auf der Bühne, man konnte Bier und Wein trinken während der Veranstaltung. Wir machten Sprünge und fragten zum Beispiel: Wie sah es in Amerika in der Vorkriegszeit aus?

STANDARD: Erfolg heißt unter anderem, in "Theater heute" zum Theater des Jahres gekürt zu werden. Woran bemisst sich Erfolg?

Simons: Das ist eine Anerkennung meiner Arbeit hier. Ich habe zum Beispiel Ausländer ins Ensemble gebracht, wie Benny Claessens und Kristof van Boven. Dadurch entstand nicht gleich eine andere Spielweise. Aber es hat uns doch vorangebracht. Ich habe ein unglaublich gutes Ensemble. Wir haben neue Disziplinen hereingeholt, den Tanz. Wenn man das in Berlin macht, ist das nichts Ungewöhnliches. Hier gucken die Leute befremdet. Die einen lieben das, andere sagen: Was soll ich damit in "meinen" Kammerspielen?

STANDARD: Das Publikum hier ist so streng, wie man ihm nachsagt?

Simons: Das kann man durchaus mit Wien vergleichen, wo die Schauspieler exemplarisch geliebt und bewundert werden. Das ist auch hier der Fall. Der Schauspieler Kristof van Boven zum Beispiel wurde von den Münchnern sofort ins Herz geschlossen. Natürlich bedeutet uns die Anerkennung durch die Kritiker in Theater heute etwas. Wir haben sehr gute Stadtprojekte gemacht. Erfolg ist manchmal bloßes Glück. Man muss bescheiden bleiben.

STANDARD: Gilt nicht das böse Wort, Erfolg sei nichts anderes als eine Form des Missverständnisses?

Simons: Wir waren zwei Jahre hintereinander mit Vorstellungen beim Berliner Theatertreffen. Das hilft hier in München nicht im Geringsten. Wir machen natürlich, ohne arrogant wirken zu wollen, intellektuelles Theater. Vor der Premiere von Dantons Tod sagte mir ein Kritiker: "Ich habe Danton neun Mal gesehen, jedes Mal war es Mist" - er sei schon gespannt. (lacht) Es gibt bei uns Leute wie Choreograf Alain Platel. Der macht bei uns zum ersten Mal Stadttheater: Tauber Bach. Platel ist einer der besten Künstler, die ich kenne. Kurzum: Ich versuche, ein Ausrufezeichen zu sein.

STANDARD: Trotzdem verlängern Sie Ihren Vertrag nicht über 2015 hinaus?

Simons: Als ich gefragt wurde: "Mach doch drei weitere Jahre!", da dachte ich: Ja, künstlerisch kann ich mir das total vorstellen, aber meine Frau und meine Kinder nur drei Wochenenden im Monat zu sehen, das hält man fünf Jahre durch, aber nicht acht. "Aber erst mit acht Jahren würde deine Intendanz zur Ära!", sagte man mir daraufhin. Jetzt denke ich: Ja, vielleicht. Aber so bleibt eben ein Ausrufezeichen übrig.

STANDARD: Eine Kürzest-Ära?

Simons: Die Wahl des Nachfolgers fiel auf Matthias Lilienthal, was natürlich noch einmal eine Weiterführung des eingeschlagenen Weges darstellt. Frank Baumbauer begann damit, ausländische Regisseure zu beschäftigen. Ich habe noch mehr Ausländer geholt und trotzdem die Verbindung mit der Stadt gesucht. Jetzt kommt Lilienthal und macht das Ganze noch internationaler.

STANDARD: Sie sehen Kontinuität?

Simons: Ich sehe mich als Vorbereiter von etwas Neuem, und das wird von den Verantwortlichen der Stadt akzeptiert. Das ist womöglich noch wichtiger als alle Auszeichnungen. Die Verbindung der Politik mit Theater ist in den deutschsprachigen Ländern bewundernswert und mit Holland nicht zu vergleichen.

STANDARD: Sie meinen die Politiker als Ermöglicher?

Simons: Die sind mit vielen Sachen, die wir machen, nicht einverstanden. So jemand sagt dann aber: "Ich bin gespannt auf deine Meinung, und anschließend können wir uns darüber auseinandersetzen." Diese polemische Kultur schätze ich außerordentlich.

STANDARD: In Büchners "Danton" fällt der tiefgründige Satz: "Geht Euren Phrasen nach, bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden". Ist das bereits ein Hinweis auf das "Politische" des Theaters?

Simons: Dantons Tod ist deshalb wichtig, weil man das Gefühl für Revolution überhaupt nicht mehr kennt. Man weiß nicht mehr, was eine Revolution ist. Ich übrigens auch nicht. Die Entscheidung, Danton zu spielen, darf nicht dahin gehen, Schauspieler auf die Bühne zu holen und herumschreien zu lassen: "Revolution!" Das glaubt niemand, die Schauspieler nicht, und schon gar nicht das Publikum. Was ich deshalb versuche: Ich lese in dem Buch, was alles vorgeht. Wir spielen und kehren doch sofort wieder zum Buch zurück. Eben weil es ein Ideendrama ist. Die Revolution findet statt, aber der Körper hält nicht mit ihr Schritt. Zur wahren Revolution kommt es gar nicht.

STANDARD: Sondern?

Simons: Sehen Sie, ich habe die ganze Wand hier mit Figuren von Goya vollgeklebt. Die Gewalt, die Unterdrückung, das ist alles in diesen Bildern aufgehoben. Unsere provokante Feststellung geht auf Peter Sloterdijk zurück: Wenn wir imstande sind, "neue" Menschen zu erschaffen, die vernünftiger leben können - warum erschaffen wir sie nicht? (Ronald Pohl, DER STANDARD, 3.10.2013)