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Gezi ist nicht tot, meint Studentin Nahide: "Zum ersten Mal überhaupt in der Türkei ist eine Bewegung von unten entstanden."

Foto: Reuters/Cristel

Ist "Gezi" vorbei? Politiker der konservativ-religiösen türkischen Regierungspartei AKP und deren Zeitungskommentatoren wollen das Glauben machen. Gezi sei eine Obsession des Westens, heißt es. Das Gezi-Volk selbst sieht das freilich anders. Seit den Straßenprotesten in Kadiköy und in Ankara im September ist es wieder ruhiger - "zum Großteil wegen der hohen Polizeipräsenz. Aber das heißt nicht, dass die Bewegung ihr Momentum verloren hat", sagt Alkan, ein 25-jähriger Mann und einer von drei Unterstützern der Proteste in Istanbul, die bereit sind, über den Zustand der Protestbewegung zu sprechen. Sie wollen ihre richtigen Namen nicht in der Zeitung sehen. Gezi-Ermittler Nazmi Okmuş tut seine abschreckende Wirkung.

Eine soziale Bewegung brauche Aktion und das Reden, sagt Alkan; nach den Straßenprotesten werde nun weiter in Parkanlagen und im Internet diskutiert. "Solange es Reden gibt, gibt es auch Kontinuität." Alles habe sich ein bisschen gesetzt, gibt Nahide, eine 21-jährige Soziologiestudentin, zu, aber Gezi habe selbstverständlich eine Zukunft: "Jeder, ausgenommen die Regierung, hat die Macht der Jugend und der Bürger begriffen. Zum ersten Mal überhaupt in der Türkei ist eine Bewegung von unten entstanden." Doch die Frage bleibt, wohin sie nun geht.

Gezi-Park erfolgreich verteidigt

Den Gezi-Park selbst, so scheint es, hat die Protestbewegung gegen Erdogans Baupläne erfolgreich verteidigt und schon abgehakt. Es gebe zu viele unterschiedliche Gruppen, die für sich die Gezi-Bewegung reklamieren, erklärt Alkan. Eine konkrete politische Forderung zu formulieren sei da schwierig. "Freiheit war der Begriff, der alle zusammenbrachte und den alle anders definieren." Die gleichaltrige Studentin Fatma widerspricht. "Gezi ist eine politische Haltung geworden", sagt sie, das Fehlen einer Organisation die Schwäche und zugleich die Stärke des "Gezi-Geists".

Sie gibt ein Beispiel, das sie vor ein paar Tagen in Istanbul erlebte: Menschen, die zwei Stunden lang auf einen öffentlichen Bus warten, immer mehr werden und schließlich wütend die Schnellstraße besetzen. "Wenn Sie diese Leute für ein Lumpenpack halten (Erdogans Ausdruck für die Gezi-Demonstranten, Anm.), dann benutzen Sie wahrscheinlich einen Hubschrauber, um in Istanbul von einem Ort zum anderen zu kommen", sagt die Studentin ironisch und redet sich in Rage: "Überstunden arbeiten, unterbezahlt werden, keine sichere Beschäftigung haben, aber drei Kinder, wie es der Regierungschef wünscht; zwei Stunden warten, um in einen überfüllten Bus zu steigen mit dem einzigen Gedanken als Zeitvertreib, wie viel Sie der Bank schulden: Wenn das Ihr Leben wäre, würden Sie nicht protestieren?" (Markus Bernath, derStandard.at, 2.10.2013)