Noch ist es nicht klar, wie lange die Schließung von hunderten staatlichen Einrichtungen und der Zwangsurlaub von 800.000 Staatsbediensteten in den USA dauern wird. Vor 20 Jahren waren es rund drei Wochen, bevor die Republikaner einlenkten und einem Budgetgesetz zustimmten, in dem nicht alle ihre Forderungen erfüllt waren. Doch eine rasche Lösung ist diesmal nicht in Sicht.

Denn im aktuellen Konflikt ist ein Kompromiss nur schwer vorstellbar. Der rechte Flügel der Republikaner will mit allen Mitteln die Umsetzung der Gesundheitsreform verhindern, für die ein Kernstück am Dienstag in Kraft getreten ist. Sie sehen darin einen Verrat an den amerikanischen Werten, der Kampf dagegen geht daher weit über die Tagespolitik hinaus.

Für Obama, der in früheren Kämpfen oft nachgegeben hat, geht es hier um sein wichtigstes innenpolitisches Vorhaben. Er kann nicht zurückweichen und hat Recht und Gesetz auf seiner Seite. Mehr noch: Auch wenn "Obamacare" immer noch wenig beliebt ist, lehnt die Mehrheit der Amerikaner die Taktik seiner Gegner ab. Selbst im republikanisch dominierten Repräsentantenhaus gibt es mit den Demokraten und moderaten Republikanern eine Mehrheit für einen Kompromiss.

Aber diese kann nicht aktiv werden, weil sich der Chef der Republikaner, John Boehner, dem rechten Lager in seiner Partei ausgeliefert hat, indem er sich wie seine Vorgänger weigert, Gesetzesvorlagen zur Abstimmung zu bringen, die im eigenen Lager keine Mehrheit finden.

Für die meisten republikanischen Abgeordneten aber zählen weder das Gemeinwohl noch das Schicksal der eigenen Partei, die sich durch ihre Radikalisierung die Chance auf eine Rückeroberung des Weißen Hauses nimmt, sondern nur die eigene Überzeugung sowie die Stimmung in ihren erzkonservativen Wahlbezirken. Dort kann jedes Abweichen vom rechten Glauben zu einer Gegenkandidatur eines noch radikaleren Rivalen bei den nächsten Vorwahlen führen. Die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft und das besondere Wahlsystem ermöglichen es, dass eine extremistische rechte Minderheit eine gesamte Nation in Geiselhaft nimmt.

Die gelassene Reaktion der Finanzmärkte täuscht: Die Gefahr für einen finanziellen Super-GAU ist in den kommenden Wochen größer denn je. Alles deutet daraufhin, dass der Streit um die Gesundheitsreform und andere Fragen die Anhebung des US-Schuldenlimits vor dem 17. Oktober verhindert. Geschieht das nicht, ist die weltgrößte Volkswirtschaft technisch pleite.

Viele Tea-Party-Republikaner fürchten sich vor einer solchen Entwicklung nicht. Im Gegenteil: Die Nichtbezahlung der Schulden, argumentieren sie, wäre ein mächtiger Schlag gegen den verhassten Staat und würde jene radikalen Einsparungen erzwingen, von denen sie schon lange träumen.

Erst wenn die Wähler im eigenen Wahlkreis die Folgen solch verantwortungslosen Handelns zu spüren beginnen, könnte bei den Abgeordneten ein Umdenken einsetzen. Doch dafür müsste das Schlimmste erst tatsächlich eintreten - steigende Zinsen, fallende Märkte, gefährdete Banken. Und das hätte Folgen nicht nur für die USA, sondern für die ganze Weltwirtschaft.

Obama selbst kann nicht viel tun, um dieses Horrorszenario abzuwenden. Es liegt an seinem Gegenspieler Boehner, die Macht der Fanatiker zu brechen und wieder Vernunft in Washington einkehren zu lassen. (Eric Frey, DER STANDARD, 2.10.2013)