Der Turm des 1937 eröffneten Messegeländes am Ufer der Save steht noch, verfällt aber zusehends.

Foto: Aleksandar Andjic

In dem von den Nazis errichteten Lager ...

Foto: Jüdisches Historisches Museum Belgrad

... wurden tausende Juden, Roma und Serben ermordet.

Foto: Jüdisches Historisches Museum Belgrad

Belgrader wissen, wo das alte Messegelände (Staro sajmiste) ist. Dorthin werden falsch geparkte Autos aus dem Stadtzentrum abgeschleppt. Gegenüber befindet sich eine wilde Wohnsiedlung: heruntergekommene kleine Hütten, Gärten, enge Wege. Dahinter die Save. Auf die Frage, wo sich das ehemalige Lager befinde, wissen Passanten keine Antwort. Und das Fitnesszentrum Poseidon? Ach, warum fragen Sie nicht gleich?

Notdürftig asphaltierte Gassen, hohe Bäume, Büsche, Unkraut. Keine Straßenschilder, kein Gehsteig. Vereinzelte Häuser mit reparaturbedürftigen Fassaden und Dächern. Alles wirkt verwahrlost, doch in der Septembersonne irgendwie idyllisch. Vor einer Baracke des früheren KZs wird Wäsche auf einer Leine getrocknet. Eine Frau hat Paprika auf den Grill gelegt. Kinder spielen Fußball.

Tolle Ravepartys

Der Pavillon der 1937 eröffneten Belgrader Messe, der zum Fitnesszentrum Poseidon umgebaut ist, fällt durch seine frisch gestrichene Fassade auf. Eine Gruppe Jugendlicher geht zum Hallenfußball. Ob sie wüssten, dass dieser Pavillon nach der Besetzung Belgrads 1941 als Ambulanz des Judenlagers Semlin gedient habe? Keine Ahnung. Aber tolle Ravepartys gebe es hier. Den Pavillon kaufte der jetzige Eigentümer 1998 für zwei Millionen D-Mark.

Neben dem Poseidon ein Automechaniker. Gegenüber das Restaurant So i biber (Salz und Pfeffer), ein Geheimtipp: gutes Essen zu niedrigen Preisen. Ob der Herr sein Steak durch oder Medium möchte? Der Autor dieses Textes gedenkt seiner jüdischen Großmutter, die 1942 das letzte Lebenszeichen von diesem Ort aus gab. Als Ärztin wurde sie eingesetzt. Wo heute das Restaurant ist, stand früher das Krematorium.

Unweit des Restaurants eine unauffällige Tafel: "Auf dem Gelände der alten Messe gründete die deutsche Gestapo 1941 das Lager Sajmiste, in dem, durch Beihilfe einheimischer Verräter über 40.000 Menschen aus allen Teilen unseres Landes brutal gefoltert und getötet worden sind." Zuerst Juden, etwa 7000, fast die Hälfte der jüdischen Bevölkerung im damaligen Serbien, dann Roma, Kommunisten, andere Serben.

Rund neun Prozent der serbischen Juden überlebten den Zweiten Weltkrieg. Die Opfer in Semlin wurden in Saurer-Lkws gesteckt und durch Abgase erstickt. Lagerkommandant war SS-Untersturmführer Herbert Andorfer, davor Gastwirt in Linz. Er gab den Kindern Bonbons, damit sie ruhig in die Lastwagen stiegen. 1969 wurde er wegen Beihilfe zum Mord zu 30 Monaten Haft verurteilt, 2007 starb er 96-jährig.

Das heutige Serbien weiß genauso wenig, was es mit dem alten Messegelände tun soll, wie das titoistische Jugoslawien. Das linke Ufer der Save wurde zwar 1965 zum "Gedenkufer", das alte Messegelände 1987 zum "Kulturgut" erklärt, ein Denkmal an der Save für die Opfer errichtet. Doch danach geschah nichts.

"Besonderes Staatsinteresse"

Eine Kommission der Stadt Belgrad soll nun einen Entwurf für das alte Messegelände ausarbeiten. "Wir wollen, dass die gesamte Gedenkstätte durch ein Sondergesetz als Gebiet von besonderem Staatsinteresse beschützt wird", sagt Ruben Fuks, Vorsitzender des Bundes jüdischer Gemeinden in Serbien und Kommissionsmitglied. Man sei sich einig darüber, dass das Gelände als Gedenkstätte und Bildungszentrum dienen solle. Weit ist man bisher nicht gekommen. Immerhin geht es um eines der teuersten und attraktivsten Baugrundstücke Belgrads. Viele wollen hier Luxuswohnungen und Einkaufszentren sehen.

Und: So etwas wie Vergangenheitsbewältigung gibt es in Serbien überhaupt nicht. Im kommunistischen Jugoslawien war alles Schwarz-Weiß, und im unabhängigen Serbien will man von den in den 1990er-Jahren im Namen des Serbentums begangenen Verbrechen in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo nichts wissen. Was soll man da erst mit einem alten Judenlager anfangen? Selbst wenn dort auch Serben massenhaft ermordet wurden.

Der aufbrodelnde Antikommunismus begrub die antifaschistische Tradition Serbiens, weil den Kampf Kommunisten - Titos Partisanen - führten. Die serbischen Tschetniks - die Königsarmee -, die mit der nazistischen Besatzungsmacht im Kampf gegen die kommunistischen Partisanen zusammenarbeiteten, wurden rehabilitiert. Der einst übertrieben hochstilisierte Partisanenkampf ist mit der heutigen Geschichtsfälschung, der Kommunismus mit dem Nationalismus durchwoben.

In Titos Jugoslawien hatte man keine Schuldgefühle hinsichtlich der Vernichtung der Juden, also sah man sich nicht verpflichtet, das Messegelände in eine Gedenkstätte umzubauen. Im heutigen Serbien würde die Aufarbeitung dieses Kapitels an die zumindest passive Haltung der damaligen Antikommunisten erinnern.

Jovan Byford, Professor an der Open University in London, schreibt: "In Serbien besteht heute möglicherweise die Übereinstimmung, dass das Gedenken an das Lager Sajmiste zu bewahren ist, aber nicht darüber, woran man sich erinnern sollte." (Andrej Ivanji aus Belgrad, DER STANDARD, 30.9.2013)