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Im Handel erhältliche Vakzine sind gegen vier Serotypen gerichtet. 

Foto: Reuters/Dylan Martinez

Bakterien der Art Neisseria meningitidis, zu Deutsch Meningokokken, sind unberechenbar. Sie leben als harmlose Kommensalen auf Schleimhäuten in der Nase und im Mund-Rachen-Raum. In seltenen Fällen werden diese Untermieter jedoch aggressiv, eine Infektion breitet sich im Körper aus. Die Keime können sich rapide vermehren und sondern hochwirksame Giftstoffe ab, erklärt der Mikrobiologe Ulrich Vogel von der Universität Würzburg. Die Vergiftung bringt das Immunsystem dazu, Amok zu laufen, der Patient stirbt an einer schweren Sepsis - manchmal innerhalb weniger Stunden. "Das macht sie ziemlich einzigartig", meint Vogel. Invasive N. meningitidis können sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden und die Hirnhaut befallen. Eine lebensgefährliche Entzündung ist dann die Folge.

Vogel und andere Fachleute trafen sich vergangene Woche in Bad Loipersdorf zum zwölften Kongress der Europäischen Gesellschaft für Meningokokken-Erkrankungen. Organisatorin war die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Es wurden neue Ansätze zur Bekämpfung von N. meningitidis erörtert. Die Krankheit fordert laut Einschätzung der WHO weltweit jährlich mindestens 50.000 Todesopfer. In Österreich traf es 2012 59 Personen, fünf dieser Fälle endeten tödlich.

Eine Frage der Häufigkeit

"Wir sind derzeit in einer Talsohle", sagt die AGES-Forscherin Sigrid Heuberger. Erstaunlicherweise folgt die Krankheitshäufigkeit hierzulande einem Vier-Jahres-Rhythmus, warum ist nicht bekannt. Die Inzidenz schwankt zwischen 1,2 und 0,6 Fällen pro 100.000 Einwohner. Besonders häufig kommt der Erreger bei Kindern und Jugendlichen vor. In dieser Gruppe können 20 bis 30 Prozent Träger sein, und sie erkranken auch überdurchschnittlich oft an invasiver Meningitis und Meningokokken-Sepsis.

"Kleinkinder haben eben noch keinen Kontakt mit den Keimen gehabt", erläutert Heuberger. Das Immunsystem wurde noch nicht ausreichend aktiviert. Jugendliche hingegen sind aufgrund Ihres altersgemäßen Verhaltens häufig mit Meningokokken besiedelt, was gelegentlich zu schweren Infektionen führt.

Potenzielle Risikogruppe

Zahlen aus Deutschland weisen indes noch auf eine weitere potenzielle Risikogruppe hin: homosexuelle und bisexuelle Männer. In Berlin erkrankten in den vergangenen zwölf Monaten fünf Homosexuelle im Alter von 20 bis 29 Jahren an invasiven Meningokokken (vgl.: Eurosurveillance, Bd. 18, pii=20523). Drei von ihnen starben, ein vierter trug Hirnschäden davon. Molekulargenetischen Untersuchungen zufolge gehörten die Erreger in allen fünf Fällen zur Serogruppe C, aber nicht immer identischen Zelllinien. Die fünf jungen Männer wurden demnach nicht von ein- und derselben Quelle infiziert. Inzwischen gibt es für die homosexuelle Bevölkerung Berlins eine Impfempfehlung. Die Deutsche Aids-Hilfe e.V. klärt auf ihrer Homepage über die Krankheit auf. Einer möglichen Epidemie soll schnellstens vorgebeugt werden.

Die Bedrohung ist nicht ganz neu. 2001 registrierten Mediziner in Toronto zum ersten Mal einen kleinen Ausbruch von invasiven Meningokokken in der Schwulenszene. Damals waren sechs Männer betroffen. Weitere Vorfälle folgten in Chicago, Los Angeles und Paris. In New York wurden seit 2010 insgesamt 22 homosexuelle Männer von den gefährlichen Keimen angegriffen, sieben überlebten es nicht.

Neuer Keimtypus

Wissenschaftler rätseln über die Hintergründe. Ein geschwächtes Immunsystem infolge einer bereits bestehend HIV-Infektion kommt als Ursache nicht in Frage - keiner der Berliner Patienten war HIV-positiv. Manche Forscher meinen, eine neue Variante des Serotyps C könnte sich speziell an ein Leben im Urogenitaltrakt und/oder auf den Schleimhäuten des Enddarms angepasst haben. Damit wäre einer sexuellen Übertragung bei Geschlechtsverkehr zwischen Männern Tür und Tor geöffnet. Die Suche nach einem solchen Keimtypus wurde bereits gestartet, Ergebnisse liegen jedoch noch nicht vor.

Eine erhöhte Ansteckungsgefahr könnte auch durch weniger intensiven Körperkontakt zustande kommen. Küssen kann auch zur Übertragung führen, sogar Tröpfcheninfektionen. Vielleicht ist es somit einfach nur eine Frage der höheren Wahrscheinlichkeit, ob ein mit einem invasiven Keim infizierter homosexueller Mann den Erreger weitergibt.

Wer Risiko vermeiden will, kann sich impfen lassen. Es gibt Vakzine gegen vier der fünf mit der Krankheit verknüpften N. meningitidis Serotypen. Persönlich halten sowohl Heuberger wie auch Vogel es für sinnvoll, wenn homosexuelle und bisexuelle Männer sich gegen die Serogruppe C impfen lassen, insbesondere, wenn sie in der großstädtischen Subkultur aktiv sind. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 1.10.2013)