Haben ihre Stimme bereits abgegeben: Jürgen Fuchsmair, Markus Faser

 

Foto: standard/fischer

Während andere Sonntagnachmittag zum Wahllokal hetzen, um kurz vor der Sperrstunde ihre Stimme abzugeben, wartet Jürgen Fuchsmair* nur darauf, dass die ersten Hochrechnungen im Fernsehen kommen. Er hat seine Stimme schon am Donnerstag abgegeben. "Ich war immer schon ein Sofort-Wähler", sagt der 61-jährige Steuerberater. Sich informieren, dann abwägen, um nicht erst in letzter Sekunde eine Entscheidung zu treffen - das sei ihm immer wichtig gewesen. Diesmal fiel die Informationsbeschaffung etwas dürftiger aus: Nur Fernsehen und Radio standen ihm zur Verfügung, nicht aber die gewohnten Zeitungen und Magazine, auch Parteiwebseiten konnte er nicht ansteuern, von Postwurfsendungen und Wahlplakaten blieb er verschont. Fuchsmair sitzt im Gefängnis. Wegen eines Delikts, das mit seiner Tätigkeit als Steuerberater in Verbindung stand, muss er 30 Monate in der Justizanstalt Simmering verbringen.

"Trauriges" Desinteresse

Zweieinhalb Jahre Haft fasste auch der 22-jährige Markus Faser* aus, der wegen Diebstahls und Betrugs verurteilt wurde. Spätestens im Februar 2015 wird er wieder in Freiheit sein - das ist einer vieler Gründe, warum auch Faser sich für eine Wahlkarten-Beantragung gemeldet hat, um an der Nationalratswahl teilnehmen zu können. "Wir kommen alle irgendwann wieder raus, das betrifft uns ja auch, was da draußen passiert", sagt Faser, der es nicht versteht, dass die Mehrheit der Insassen nicht Wählen geht: "Das ist traurig. Die meisten interessiert es nicht, vor allem die Jungen. Viele wissen ja nicht einmal, wer Faymann oder Spindelegger ist." Faser würde sogar eine Wiedereinführung der Wahlpflicht befürworten.

Keine Wahlpflicht, sondern sogar ein Wahlverbot hätte Faser hingegen erhalten, wäre er ein paar Jahre früher verurteilt worden: Die Wahlen am Sonntag sind die ersten Nationalratswahlen, an welchen auch Strafgefangene teilnehmen dürfen, bis Oktober 2011 waren Häftlinge bei Verurteilungen von über einem Jahr von den Wahlen ausgeschlossen. Seither darf das Wahlrecht nur noch durch richterlichen Beschluss und bei bestimmten Delikten und Strafhöhen, etwa bei Verurteilung nach dem Verbotsgesetz oder dem Mafiaparagrafen zu unbedingten Haftstrafen von über einem Jahr, entzogen werden.

Stimmentzug "unverständlich"

Dass man Gefangenen das Wahlrecht entzieht, ist für Fuchsmair "einfach unverständlich". Er selbst habe sich dreißig Jahre lang "ordentlich verhalten und versucht, zum Wohl dieses Landes beizutragen", sagt Fuchsmair, der sich in seiner Studentenzeit selbst politisch engagiert hat. "Und dann kommt ein Punkt, wo man einen Fehler macht. Ich bin zurecht verurteilt worden, ich hätte mich auch verurteilt. Aber deshalb soll ich nicht mehr wählen dürfen?"

Dass der Wahlausschluss für Gefangene gelockert wurde, lag nicht an humanitären Überlegungen der Bundesregierung. Österreich war dazu verpflichtet worden: Der frühere TV-Moderator Helmut Frodl, der wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, hatte seinen Wahlausschluss beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angefochten und bekam Recht. Österreich dürfe nicht ohne Begründung allen Häftlingen das Wahlrecht entziehen, so die Straßburger Richter. Österreich erhob Berufung, scheiterte aber - und musste das Gesetz reparieren.

Zelle zu eng

Die Zeit der Haft habe an seiner politischen Einstellung nichts verändert, sagt Faser: "Ich habe immer SPÖ gewählt." Dennoch gibt es einige Dinge, die er Werner Faymann erzählen würde, käme der Bundeskanzler einmal in die Justizanstalt im alten Kaiserebersdorfer Schloss zu Besuch: "In den Justizanstalten läuft einiges falsch", sagt Faser, der vor allem unter der Überbelegung der Haftanstalt leidet. Simmering bietet Platz für 429 Häftlinge, derzeit sind es rund 500 Insassen. "Wir sind in Ein-Mann-Zellen zu zweit untergebracht", erzählt der 22-Jährige, "wenn ich an meinem Zellenkollegen vorbei gehen will, muss er sich hinsetzen - sonst geht es sich nicht aus." Er würde den Kanzler außerdem bitten, mehr für die Akzeptanz der Menschen mit krimineller Vergangenheit zu tun: "Jeder Mensch kann sich in der Haft ändern. Ein Kanzler sollte das mehr betonen".

Steuerberater Fuchsmair würde "jedem, der in einem rechtsberatenden Beruf tätig ist, raten, einmal hierher zu kommen." Ihn selbst hätten die vergangenen Monate in Simmering die Augen geöffnet: Schließlich habe er selbst als gerichtlicher Sachverständiger mit seinen Gutachten in Strafverfahren dazu beigetragen, dass Menschen verurteilt und inhaftiert wurden. "Mit meiner heutigen Erfahrung hätte ich vielleicht manchmal anders agiert, humaner agiert." Denn die Haft sei in Österreich "eine reine Strafhaft, keine Resozialisierungshaft". Wobei es ihm nicht schwer falle, sich in der Zelle zu beschäftigen: "Die Haft selbst ist das geringste Problem - wirklich schwierig ist, was an Sozialem da draußen kaputt geht."

Strafreformwünsche

Auch Markus Faser meint, es sei für ihn klar, "dass ich gerade stehen muss für das, was ich getan habe". Wirklich schmerzhaft sei die Haft aber an jenem Tag gewesen, als sein sechsjähriger Sohn seinen ersten Schultag hatte - und er als Vater nicht dabeisein konnte. "Da spürst du erst richtig, was für eine Strafe sie dir umhängen." Mehr Bewährungsstrafen, mehr außergerichtliche Lösungen und gemeinnützige Arbeit für Straffällige, und vor allem eine strengere Trennung der jungen Delinquenten von den "Langzeitkriminellen" - diese Wünsche würden die beiden Insassen dem Kanzler überreichen, käme er einmal in den Zellentrakt. Und nebenbei würden sie ihn auffordern, "etwas für die Alten zu tun": Während Markus Faser eine pflegebedürftige Großmutter hat, die er vermisst, leidet Jürgen Fuchsmair darunter, seine 94-jährige Mutter nicht unterstützen zu können.

Am Nachmittag des Wahlsonntags werden die Insassen in ihren Hafträumen die Wahlberichte im Fernsehen verfolgen. Fuchsmair hofft, dass er durch seine Stimme dazu beitragen kann, "dass Österreich in der EU härter auftritt". Faser hat die Sozialdemokraten gewählt. Zwar habe auch die SPÖ Fehler gemacht, "aber es gibt ja bei jedem Kandidaten etwas zu nörgeln. Und das Wichtigste ist, dass man überhaupt wählt". (Maria Sterkl, derStandard.at, 29.9.2013)