Joe Dante ist derzeit zu Gast in Wien, Publikumsgespräche im Filmmuseum am 2. und 3.10.

Foto: Newald

derStandard.at: Sie sind in den 1970er-Jahren nach Hollywood gekommen: Das alte Studiosystem gab es nicht mehr, aber Sie fanden Arbeit an einem Ort namens "New World", Roger Cormans Firma. Heute wird Hollywood als "the new abnormal" bezeichnet – gibt es überhaupt noch "neue Welten" dort?

Dante: Neue Welten, die man erobern könnte? Das Filmgeschäft hat sich immens verändert, seit ich damals angefangen habe. Roger Corman war einer der Unabhängigen, er hat ohne Gewerkschaft Filme gedreht – für so genannte "Grindhouses",  für Autokinos und Kinos im Süden. Die Konkurrenz war groß, es wurden unglaublich viele Filme gedreht, weil das Filmbewertungssystem in den USA eingeführt worden war. Man konnte plötzlich Dinge zeigen, die vorher unmöglich gewesen wären – Gewalt und Sex –, und das wurde bis zu Letzten ausgenutzt, exploited. Das war die Ära der X-Rated-Movies. Zehn Jahre später war sie vorbei.

derStandard.at: Aber Sie waren dann – neben John Sayles, Jonathan Demme u.v.a – einer der Absolventen der Corman-Schule?

Dante: Viele von uns wurden zunächst ohne filmische Ausbildung von diesen kleinen Firmen angestellt, einfach weil sie Leute für ihren Filmoutput brauchten. Die Kinos wollten beliefert sein. Natürlich wollten wir alle einen großen Studiofilm machen, so wie unsere Vorbilder. Aber was wir taten, war eben eine Art "Guerilla-Filmmaking" – es war wie eine Filmschule, nur dass unsere Filme dann gleich einen Monat später in zwanzig Autokinos liefen. Man konnte sich dabei auch in unterschiedlichen Funktionen ausprobieren. Am Ende hatte man zumindest ein bisschen Ahnung von allem. Jeder, der das durchlaufen hat, war am Ende ein besserer Filmemacher.

derStandard.at: Und man konnte damit zumindest ein bescheidenes Einkommen haben?

Dante: Bescheiden ist der richtige Ausdruck. Aber ja – wir lebten alle in sehr kleinen Wohnungen, man musste etwas zur Seite legen, um die Zeiten zwischen Filmen zu überbrücken. Aber das Leben war billiger damals.

derStandard.at: Was Sie vorher beschrieben haben, die Art des Teamwork, erinnert nämlich auch an die Art wie gegenwärtig in den USA unabhängige Filme entstehen. Mit dem großen Unterschied, dass man jetzt noch einen Job braucht, um solche Projekte quer zu finanzieren.

Dante: Absolut. Und sie haben heute viel weniger Möglichkeiten, mit dem fertigen Film Geld zu machen. Zu Exploitation-Zeiten haben all diese Filme ja auch noch Geld eingespielt. Es war völlig wurscht, ob sie gut waren – die Kinos waren darauf angewiesen, ihr Programm zu füllen. Sie haben diese Filme abgespielt, bis die Kopien zerfallen sind. Wenn heute junge Leute zu mir kommen und sagen: "Erzählen Sie doch, wie Sie es geschafft haben, in diesem Geschäft Fuß zu fassen.", dann sage immer: "Das kann ich gern machen. Aber es ist völlig irrelevant, weil es nicht mehr dasselbe Geschäft ist." Das Geschäft, in dem ich 1974 angefangen habe ist weg, gone, gone with the wind. Heute ist kein Platz mehr für Mavericks oder Independents wie Roger. Obwohl Roger ja noch da ist – er schießt seine Filme immer noch raus, jetzt eben für den Sci-Fi-Channel.

derStandard.at: Sie selbst führen auch ab und an bei der Fernsehserie Hawaii Five-0 Regie?

Dante: Ja, zuerst hat man mich für eine Halloween-Folge engagiert, daraus hat sich eine regelmäßige Zusammenarbeit ergeben. Der Grund dafür ist einfach: Man muss die Zeit überbrücken, bis man die Finanzierung für ein Filmprojekt endlich beisammen hat – und das wird immer schwieriger, nicht zuletzt, weil weniger Filme gemacht werden, aber mehr Leute Filme machen wollen. Man muss also sehen, dass man Geld aufbringt, um beispielsweise zur Berlinale zum Filmmarkt zu fliegen, um dort von Tisch zu Tisch zu pilgern und bei möglichen Geldgebern vorstellig werden.

derStandard.at: Ihr Projekt, ein Biopic über Roger Corman zu drehen, scheint nun aber konkret zu werden?

Dante: Ich denke, wir sind auf einem guten Weg, es hängt noch am Casting. Das Geld ist da, aber die Besetzung ist noch nicht ganz fix.

derStandard.at: Ihre Anfangsjahre fallen auch in die Zeit von New Hollywood. Damals wollte man dem Kino auch eine gewisse Künstlichkeit austreiben, man hat an Originalschauplätzen, mit Laien gedreht usf. – Ihre Vorliebe fürs Fantastische, für Horror hat das nie beeinflusst?

Dante: Der Stil, den ich an den alten Filmen mochte, war untrennbar mit dem Umstand verbunden, dass sie im Studio gedreht worden waren. Davon hat man sich damals verabschiedet – auch dank der neuen technischen Möglichkeiten. Vieles, das plötzlich verpönt war, mochte ich aber: zum Beispiel Rückprojektionen. Ich kann mich noch erinnern, als ich Brian De Palmas Body Double im Kino gesehen habe: Die Hauptfigur fährt im Auto, und man sieht natürlich deutlich, dass der Hintergrund eine Projektion ist. Hinter mir hat einer laut "Fake" gerufen, und ich dachte mir – das ist doch nur eine Konvention, eine Verabredung. Aber irgendwann haben die Leute aufgehört, diese Art von Kunstgriff zu mögen. Ich liebe Kunstgriffe, und ich liebe Filme, die wie Filme aussehen und nicht wie das richtige Leben.

derStandard.at: Als ich Gremlins jetzt wieder gesehen habe, war ich überrascht über die Studiosets, diese "Märchenkulissen".

Dante: Ursprünglich sollten wir on location drehen. Ich habe gleich gesagt, nein, das drehen wir am Studiogelände. Ich wollte, dass Gremlins wirkt wie ein Frank-Capra-Film. Wenn dann die furchterregenden Sachen kämen, dann würde das wie das Zusammentreffen zweier Genres wirken. Also haben wir eine sehr altmodische Stadt mit sehr altmodischen Figuren entworfen, weil der Film danach verlangt hat.

derStandard.at: The Hole, Ihren bislang letzten Kinofilm, haben Sie 2009 in 3-D gedreht – sind Sie ein Anhänger dieses Verfahrens?

Dante: Ja, ich habe das schon immer gemocht. Ich habe als Kind noch die erste 3-D-Welle erlebt. In L.A. gibt es alle fünf, sechs Jahre ein Festival, wo sie alte Kopien vorführen. Das gegenwärtige 3-D ist natürlich technisch viel avancierter, stabiler. Als wir uns an die Arbeit zu The Hole machten, habe ich den Produzenten vorgeschlagen, ihn in 3-D zu drehen. Das passt zur Geschichte, das Publikum ist gleich viel näher dran an den Kindern im Keller. Man kann 3-D nämlich nicht nur dazu verwenden, um Dinge nach dem Publikum zu werfen. Man kann damit umgekehrt auch die Zuschauer in die Geschichte herein holen. Wir haben schlussendlich einen Spezialpreis in Venedig dafür gewonnen, aber leider war der Film trotzdem kaum wo zu sehen.

derStandard.at: Was sagen Sie dazu, dass 3-D, einst ein B-Movie-Gimmick, jetzt ein Teil der Blockbuster-Kultur geworden ist?

Dante: Dafür gibt es nur einen Grund: Man kann dafür mehr Eintritt verlangen.

derStandard.at: Glauben Sie, es ist jetzt dauerhaft etabliert?

Dante: Ich denke schon. Auch wenn etliche Leute es nicht mögen – für die gibt es dann eben die 2-D-Versionen. Aber das digitale 3-D liefert wirklich gute Ergebnisse. Das Problem ist, dass man eigentlich schon in 3-D drehen muss, weil man den Film dann entsprechend anders entwirft. Man trifft dabei selbst die Entscheidungen, am Set, und nicht irgendjemand anders sechs Monate später. Es ist eine Kunst für sich.

derStandard.at: Inwiefern unterscheidet sich der Entwurf für einen 3-D-Film? Arbeiten Sie trotzdem mit einem Storyboard?

Dante: Immer. Und man hat es natürlich immer mit unterschiedlichen Raumebenen zu tun, aber für 3-D muss man das ein bisschen anders angehen, weil es übersteigert ist, es kriegt etwas Cartoonhaftes. Mein Lieblings-3-D-Film ist Alfred Hitchcocks Dial M for Murder. Eigentlich ein Bühnenstück, aber man sieht genau, wie er die Figuren so gruppiert, dass das in 3-D eine eigene Dynamik entwickelt, die es in 2-D nicht hat. Es ist in 3-D ein völlig anderer Film. Und für mich in dieser Hinsicht ein Richtwert. Beim Drehen ist 3-D einem 2-D-Film nicht so unähnlich. Man braucht vor allem mehr Licht. Man hat einen Stereografen am Set, der darauf achtet, dass die Konvergenzlinien stimmen. Und man muss es beim Schnitt berücksichtigen. Wie gesagt, es ist eine Kunst für sich. Wenn es zur Geschichte passt, würde ich durchaus wieder einen 3-D-Film drehen. (Isabella Reicher, derStandard.at, 28.9.2013)