Werte "weniger belämmerte" Eva,

ich oute mich: Ich habe lange Zeit die Grünen gewählt, immer mit Bauchweh, selten mit weniger, meist mit mehr. Diesmal werde ich die Grünen unwiderruflich nicht wählen, und zwar aus folgenden Gründen:

Sowohl meine Intelligenz als auch mein sinnlich-ästhetisches Sensorium werden durch Ihre aktuelle Wahlkampagne, in deren Zentrum Sie persönlich stehen, nachhaltig beleidigt.

Meine Frage nun an Sie: Wen oder was wollen Sie damit erreichen? Welche Zielgruppe(n) haben Sie und Ihre ebenso hoffentlich "weniger belämmerten" Parteistrategen im Visier? Welche Botschaften verstecken sich hinter den "99 Luftballons"? Wer sollte sich von den zuckerlfarbenen Sujets angesprochen fühlen? Vorkindergartenkinder vielleicht? Mag sein, die sind jedoch weit vom Wahlalter entfernt. Wenn Sie damit cool sein wollen, dann handelt es sich um eine klare Themenverfehlung, denn meine zwei coolen Kinder (16 und 18, beide erstmals wahlberechtigt) sind über diese Kampagne genauso verärgert wie ich selbst.

Beide schütteln seit Tagen unaufhörlich den Kopf darüber, und sollte daraus ein Schütteltrauma resultieren, schicke ich die Arztrechnung an Ihren hoffentlich auch "weniger belämmerten" Finanzreferenten. Und die Schafe ... warum denn nur Schafe? Meinen Sie damit, dass alle WählerInnen, die Sie nicht wählen, eine blökende Schafherde bilden? Oder verbirgt sich dahinter das unglaublich schlau-assoziative Bild des "Wolfes im Schafpelz"? Wenn ja, wer ist damit gemeint? Oder ist es gar das Opferlamm oder das Lamm Christi?

So viel Katholizismus würde ich von keiner Partei akzeptieren, die um mich wirbt. Und warum stehen überhaupt Sie als Person im Zentrum der Kampagne? Weil Sie so fesch sind? Aber es ist doch egal, ob Sie fesch sind oder nicht. Wir wählen ja nicht das Polit-Supermodel. Mich interessiert, was Sie und Ihre Partei zu sagen haben, was mich erwartet, wenn ich Sie wähle.

Schön, dass sich in dem 17. Unterkapitel Ihres Wahlprogrammes die Forderung findet, dass KünstlerInnen einen Mindestlohn von 1.500 Euro monatlich erhalten sollten. Finde ich gut und richtig, würde auch viele Betroffene aus arger Not befreien. Aber warum sprechen Sie dies und anderes nicht laut und deutlich aus? Dass die Herren Faymann und Spindelegger meiner Meinung nach selektive Pseudo-Wahrheiten verkünden, ist klar, das weiß jeder, und beide sind diesbezüglich von atemberaubender Konsequenz.

Aber Sie, warum sagen Sie nicht die ganze Wahrheit? Sind sind ja nichts weniger als staatstragend ... Weil wir KünstlerInnen beispielsweise zu wenige sind? Aber Sie haben ja ohnehin nur wenige WählerInnen, und um die sollten Sie sich kümmern, entschieden mehr als um eine virtuelle Zielgruppe, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Warum werden richtige inhaltliche Ansätze unter einem Berg von Zuckerlpapier versteckt? Ihre Wahlkampagne verläuft sich im inhaltlichen und ästhetischen Nirwana, und in diesem Nirwana wohnt niemand, schon gar keine Wahlberechtigten. Das wahre Nirwana kümmert sich nicht um Parlamentswahlen, den wenigen Leuten, die dort wohnen, ist das ganze Kasperltheater egal.

Zuletzt zum unrichtigen Märchen der "verlorenen Stimme": In Wahrheit ist jede Stimme für eine Partei, die nicht im Parlament vertreten ist, ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit allen Parteien, die ebendort sich tummeln. Tatsache: Mich und meine Kinder haben Sie als WählerInnen verloren. Meine Prognose: Sie werden für diese und ähnliche verlorenen Stimmen keinen Ersatz finden. "Weniger belämmert" ist immer noch "zu belämmert". Der Witz hat einen kilometerlangen Bart, ich weiß, macht aber nichts, weil es wahr ist.

Gehaben Sie sich wohl,
Klaus Karlbauer - Komponist, Multimediakünstler, Bauer. (Klaus Karlbauer, Leserkommentar, derStandard.at, 27.9.2013)