Man kennt das ja: Monate, ach was, Jahre bevor der nächste hoffnungsvolle Blockbuster erscheint, werden die potenziellen Spieler per Teaser-Videos, Vorabgalerien, "exklusiven" Previews und allerlei sonstigen Häppchen dazu motiviert, das Spiel XY nicht aus den Augen zu verlieren, ganz oben auf der Wunschliste hinzuschreiben und, wenn irgendwie möglich, am besten schon Monate vor dem Erscheinen vorzubestellen, wenn's geht am besten in Form absurd exklusiver "Preorder-Limited Editions". Das hat für die Publisher mehrere Vorteile - der nicht geringste darunter ist sicherlich der, dass die so im Sack gekaufte Katze auch dann Geld abwirft, wenn die ähnlich absurde Praxis, Tests samt Metascore am Releasetag quasi als Urteil zu verkünden, so manchen Hype als ebensolchen entlarvt.

Alpha-Funding

Das absolute Gegenteil dieser Unsitte, die sowohl Gamespresse als auch Spieler mit Unmengen an "News" ohne Nährwert überhäuft, ist das in den letzten Jahren im Indie-Sektor zunehmend gebräuchliche Alpha-Funding: Statt lange vor dem Erscheinen PR zu machen und dann nach Release auf Gewinn zu hoffen, können interessierte Spieler schon lange vor der Fertigstellung reinspielen - gegen einen relativ niedrigen Preis erhalten Alpha-Funder nicht nur sofort Zugang zum (noch unfertigen, aber in der Regel schon gut spielbaren) Spiel, sondern bei dessen Fertigstellung auch den kompletten Titel. Statt wie beim Kickstarter-Funding nur gegen vage Versprechungen Geld zur Verfügung zu stellen, bekommen Alpha-Funder also gleich was zu spielen - und machen mit ihrem Geld auch die Fertigstellung des Spiels möglich.

Bild: Betrayer

3x Alpha im September

Diese sympathische Form der Kundenbindung, bei der auch das Feedback der Alpha-Funder mit ins Spiel einfließt, haben schon einige der auch in dieser Kolumne vorgestellten Indie-Perlen verwendet: neben dem großen Blockbuster "Minecraft" etwa das hübsche "Don't Starve", "Prison Architect" und "Cube World".

Aktuell bitten etwa drei höchst interessante Projekte um Investitionen interessierter Vorabspieler: Das vor allem optisch höchst interessante FPS-Adventure  "Betrayer" etwa kann schon jetzt um etwa 13 Euro besichtigt werden; das schwarzweiße Abenteuer im 17. Jahrhundert wird von ehemaligen Industrieveteranen und Ex-Monolith-Mitarbeitern ("FEAR", "No One Lives Forever") gestaltet und überzeugt schon jetzt durch außergewöhnlich stimmige Atmosphäre. Auch "Sir, You Are Being Hunted" des britischen Rock Paper Shotgun-Autors Jim Rossignol lädt um ca. 16 Euro  zum Alpha-Test ein: Als verwundbarer Mensch ist man darin in einer prozedural generierten stimmungsvollen englischen Landschaft auf der Flucht vor Robotern im Tweed-Jackett. Mit Klei Entertainments "Incognita" schließlich gesellt sich noch ein interessantes Alpha-Projekt um ca. 16 Euro zum Reigen: In der "Turn Based Tactical-Espionage" trifft Stealth-Gameplay auf "XCOM"s Rundenstrategie.

Vorsicht: Alpha-Access bedeutet allerdings auch, dass die Spiele noch nicht fertig sind - aber auch Baustellenbesichtigungen machen Spaß. Wer's lieber fix und fertig hat: Hier sind die besten Indie-Spiele des vergangenen Monats.

Amnesia - A Machine for Pigs (Windows,Mac, Linux, 15,99 Euro)

Schon separat bei Release besprochen, darf der Nachfolger des Indie-Schockers "The Dark Descent" hier dennoch nicht fehlen. Aber Achtung: In der Hand des "Dear Esther"-Machers Dan Pinchbeck entpuppt sich das Horror-Abenteuer dank radikal entschlanktem Gameplay als ganz anderes Spiel als der von Fans heiß geliebte Vorgänger. Weniger Schockelemente und der Fokus auf eine verstörend-dunkle Story machen "A Machine for Pigs" aber vor allem dank der Atmosphäre und Jessica Currys fantastischem Soundtrack dennoch zum beeindruckenden Erlebnis. Wer's lieber handfester hat: Mit "Outlast" gibt's eine deftige Alternative für Freunde des brachialeren Schreckens.

Foto: Screenshot

Lone Survivor - Director's Cut (PS3, Vita 12,99 Euro)

Subtiler Horror zum Zweiten: Diesmal kommt auch die in den letzten Wochen eher nur mit Vorankündigungen abgespeiste PS3 in den Genuss einer Indie-Perle. Jasper Byrnes "Lone Survivor" bringt im "Director's Cut" verstörenden Indie-Horror auch auf Sonys Plattformen. Das Original (Windows, Mac, Linux, ca. 8 Euro) wurde zu Recht mit Lob und Awards überschüttet, jetzt ist die verunsichernde Hommage an das subtile Grauen der "Silent Hill"-Reihe auch auf Konsolen angekommen. Als letzter Überlebender ist man in einem albtraumhaften Gebäude auf der Suche nach Antworten und Essen, um zu überleben. Die simple Grafik täuscht: Hier wird Verstörung groß geschrieben.

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Terraria & Junk Jack X (iOS, beide 4,49 Euro)

Zweimal "Minecraft in 2D" auf Apples iOS, und das zur gleichen Zeit - eine schwere Entscheidung für Freunde des freien Buddelns, Forschens und Bauens auf Apple-Geräten. Verkehrt macht man mit keinem der beiden Sandbox-Explorer etwas, "Junk Jack X" bietet mit Multiplayer-Support und einem Tick intuitiverer Steuerung ein ähnlich umfangreiches Beschäftigungsprogramm wie der Indie-Hit "Terraria", der somit wohl so gut wie alle Plattformen erreicht hat - auch Android. Erstaunliche Spieltiefe für hunderte Stunden Sucht à la "Minecraft" in der Seitenansicht - Sie wurden gewarnt.

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Mirror Moon EP (Win, Mac, Linux; Ouya in Vorbereitung. ca. 8 Euro)

Mysteriös und wunderschön ist "Mirror Moon EP" des italienischen Studios Santa Ragione, in dem das Herausfinden der Spielmechaniken bewusst Teil des Erlebnisses ist. Deshalb nur so viel: Als Wanderer auf abstrakt leuchtenden Himmelskörpern forschen und puzzeln wir uns gemeinsam mit allen anderen Spielern im Netz (!) durch ein immenses Universum voller Rätsel. Ungeduldige Naturen mögen sich fernhalten, wer aber der meditativen Schönheit dieses minimalistischen Universums einmal verfällt, wird diesen Ausnahmetitel voller Geheimnisse zu würdigen wissen.

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LA Game Space Experimental Game Pack 01 (Windows, Mac, Linux, ca 12 Euro)

Apropos Ausnahmetitel: Wer gerne die ausgetretenen Pfade des bewährt-langweiligen Gamedesigns verlässt, sollte dem "Experimental Game Pack 01" des LA Game Space eine Chance geben. 23 mehr oder weniger abgefahrenen Spielexperimente stellen unter Beweis, dass der Mainstream in Sachen originelle Konzepte und Ideen noch einiges vom Untergrund zu lernen hat. Highlights: "Perfect Stride" von den Machern des ähnlich brillanten "Zineth", ist ein futuristischer Rollerblade-Racer, "VideoHeroeS" verbindet nutzloses Trivialwissen zum Thema B-Movies mit einer 90er-Jahre-VHS-Videothekensimulation und "Depth" spielt clever mit unserer Tiefenwahrnehmung. Und, und, und. Ein mehr als kurzweiliger Heuhaufen an wahnwitzigen, haarsträubenden und genialen Geistesblitzen - ein ausführlicher Überblick findet sich hier.

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Gratis, aber nicht umsonst

Zum Abschluss dieses Mal ein Verweis auf zwei bemerkenswerte Gratisprojekte. Zum Ersten: Terry Cavanagh, Macher von Masochismus-Klassikern wie "VVVVVV" und "Super Hexagon", lädt uns in "Naya's Quest" auf ein isometrisches Puzzle-Abenteuer der Sonderklasse ein - die simple Optik täuscht und erweist sich als trickreiche Oberfläche für ein kniffliges Rätselspiel. Zum Zweiten zeigt uns "SUPER HOT", dass auch im Actiongenre noch Platz für Neues wäre. Der spielbare Prototyp des ultrastylischen Action-Puzzlers ist ein Teaser, ein vollständiges Spiel soll folgen.

Übrigens: Wer seine Indie-Spiele nicht unbedingt an den DRM-Kraken Steam fesseln will, hat ab sofort neben GOG, Desura und Humble-Store noch eine weitere Alternative: Mit dem IndieGameStand-Store eröffnete nämlich soeben ein interessantes Frontend für Indiefreunde seine Pforten, das alle 96 Stunden neue Pay-What-You-Want-Angebote offeriert. (Rainer Sigl, derStandard.at, 29.9.2013)

Foto: Superhot