Detailausschnitt einer genauen Meeresbodenvermessung am Arlis-Plateau: Die nahezu parallel verlaufenden Furchen sind typische Spuren, wie sie ein massiver Eisschild im Boden hinterlässt. Der rote Pfeil markiert die Fließrichtung des Eises.

Foto: Frank Niessen, Alfred-Wegener-Institut

Bremerhaven - Im ständigen Wechsel von Warm- und Kaltzeiten während des Eiszeitalters waren einige Landmassen auf der Nordhalbkugel mehrfach von kilometerdicken Eissschichten bedeckt - für Nordeuropa, Grönland und Teile Nordamerikas ist dies belegt. Andere Regionen wurden zu sogenannten Kältewüsten. Darunter auch solche, die heute unter dem Meer liegen, da der Meeresspiegel auf dem Höhepunkt einer Kaltzeit bis zu 130 Meter niedriger lag als heute.

Eine solche Kältewüste vermutete man vor der Nordostküste Russlands, wo heute die Ostsibirische See, ein Teil des Arktischen Ozeans, liegt. Nach der bisherigen Lehrmeinung erstreckte sich dort während der Kaltzeiten ein trocken gefallenes Gebiet, in dem nicht genug Schnee fiel, um eine massive Eisschicht bilden zu können.

Das war offenbar ein Irrtum, berichtet nun das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Forscher des Instituts berichten in "Nature Geosience", dass sie am Meeresboden die charkateristischen Spuren großer Eisschilde gefunden haben. Diese belegen erstmals, dass sich innerhalb der vergangenen 800.000 Jahre auch im Arktischen Ozean mehr als einen Kilometer dicke Eisschilde gebildet haben.

Hinterlassenschaften mehrerer Eispanzer

Erste auffällige Kratzspuren und Schlammablagerungen am Meeresgrund nördlich der russischen Wrangel-Insel hatten AWI-Geologe Frank Niessen und Kollegen schon auf einer Expedition im Jahr 2008 entdeckt. Großflächige Beweise konnten sie schließlich im vergangenen Jahr während einer weiteren Arktis-Expedition sammeln. Das Ergebnis dieser Forschungsarbeiten ist eine topografische Karte des Arlis-Plateaus, eines Unterseebergs, auf dessen Hochebene und an dessen Flanken tiefe, parallel verlaufende Furchen zu erkennen sind – und das auf einer Fläche von 2.500 Quadratkilometern und bis in eine Wassertiefe von 1.200 Metern.

"Solche Kratzspuren kannten wir bisher zum Beispiel aus der Antarktis und Grönland. Sie entstehen, wenn große Eisschilde auf dem Meeresboden aufliegen und im Zuge ihrer Fließbewegung wie ein Hobel mit dutzenden Messern über den Grund schaben. Das besondere an unserer neuen Karte ist, dass sie mit großer Genauigkeit gleich auf vier oder mehr Generationen von Eismassen schließen lässt, die sich in den zurückliegenden 800.000 Jahren von der Ostsibirischen See in nordöstliche Richtung bis weit in den tiefen Arktischen Ozean bewegt haben", sagt Studienerstautor Niessen.

Die Forscher werten ihre Entdeckung als Beleg dafür, wie empfindlich die Arktis auf Veränderungen im globalen Klimasystem reagiert. Auf künftigen Expeditionen wollen sie Proben aus tieferliegenden Schichten gewinnen und den genauen zeitlichen Ablauf der Vereisungen rekonstruieren. Die genaue Kenntis der dahinterstehenden Prozesse soll auch dabei helfen, mögliche Veränderungen der Arktis im Zuge des aktuellen Klimawandels besser vorherzusagen. (red, derStandard.at, 27. 9. 2013)