Sie finden dieses Foto irgendwie unheimlich? Dann schauen Sie sich erst einmal Ann Liv Youngs "Sleeping Beauty" an. 

Foto: Guerrero Young

Wenn man das Märchen von Dornröschen mit einem Wort zusammenfassen müsste, wäre "Hochzeit" keine schlechte Wahl. Wie in allen ordentlichen Geschichten zählt auch hier das Happy End, und ein solches gibt es natürlich nur mit Trauschein.

In einer vierteiligen Reihe hat sich die US-amerikanische Choreografin Ann Liv Young des Märchens von der schlafkranken Prinzessin angenommen. Damit passt sie gut in das Programm des Steirischen Herbstes, der unter dem Motto "Alliancen, Mesalliancen und falsche Freunde: Liaisons dangereuses" nach Verbindungen in allen Aggregatzuständen fragt: leidenschaftlich oder fragil, explosiv oder gar zerstörerisch.

Kein Sex ist gar nicht gut

Bei Ann Liv Young findet man diesbezüglich offene Türen vor. Sie ist bekannt für ihre brachialen Performances. Ihr Publikum muss damit rechnen, angesprochen zu werden oder plötzlich eine laut singende Künstlerin auf dem Schoß zu haben. Dieser Frau ist die Wellness ihres Publikums egal: "Ich versuche nicht, die Menschen dazu zu bringen, sich gut zu fühlen. So können sie nicht wachsen." Selbst das bloße Zuschauen konfrontiert bei ihr mit extremen Eindrücken: Zensiert wird nichts, Sex und Gewalt gehören dazu.

Das gilt auch und gerade für Märchen: Sie mag die alten Versionen, "wie dunkel sie sind". Dass Disney diese dermaßen glattgespült und von allem befreit hat, das potenziell Angst machen könnte oder mit Sex zu tun hat, findet sie gar nicht gut. Anders gesagt: "Disney of course sucks."

Interessant findet die Künstlerin, dass "all die Menschlichkeit und Komplexität aus den Charakteren, aus den Frauen herausgezogen wird." Dementsprechend widmet sie sich in den vier Sleeping Beauty-Teilen der Figur des Dornröschens. Young versucht herauszufinden, warum diese denn gar so passiv durch die Geschichte läuft, und will dem flachen Charakter Leben einflößen.

Im dritten und vierten Teil, die beim Steirischen Herbst uraufgeführt werden, wird zudem eine neue, ganz und gar böse Person eingeführt: Mary. Ann Liv Young spielt nicht nur diese Mary. Sie besitzt schon seit geraumer Zeit ein weiteres Alter Ego: die wasserstoffblonde Südstaatlerin Sherry.

Mit Sherry's Room war diese extrovertierte Dame bereits vor zwei Jahren beim Herbst zu Gast. Damals versuchte sie in einer "Sherrapie" genannten Therapiestunde, die Menschen zu mehr Selbsterkenntnis und Verantwortung heranzuziehen. Jetzt hat Sherry expandiert: Sie tourt mit einem ganzen Truck durch die Steiermark, serviert pinke Heißgetränke und widmet sich neben dem leiblichen (sprich: Maniküre und Pediküre) in Einzel- und Paartherapien auch dem seelischen Wohl der Steirer.

Nur keine Angst also - aus jeder Mesalliance kann noch ein schönes Märchen werden. (Andrea Heinz, Spezial, DER STANDARD, 27.9.2013)