Das Kärntner Jugendamt ließ die Kinder von Eva S. in der Jugendpsychiatrie des Klinikums Klagenfurt unterbringen.

Foto: Gerhard Maurer

Klagenfurt - Dienstagmittag gegen 13 Uhr. Der achtjährige Armin S. (Name von der Redaktion geändert) wird von einer Sozialarbeiterin des Kärntner Jugendamts von der Schule abgeholt. Auf dem Weg zur Kinder- und Jugendpsychiatrie im Klinikum Klagenfurt (NPKJ) wird ihm erklärt, dass er sich jetzt von seinen älteren Brüdern, 13 und 11 Jahre alt, verabschieden muss. Armin muss in Windeseile seine Sachen packen, dann wird er in ein Kinderheim bei Villach gebracht. Mutter Eva S. erfährt dies erst, nachdem Armin schon weg ist. Die beiden älteren Brüder sollen in der Nähe von Wien untergebracht werden.

Es ist dies ein weiterer Akt in einem seit Monaten laufenden Drama um eine Mutter, deren drei Söhne vom Jugendamt abgenommen und überfallsartig in die NPKJ eingeliefert wurden. Nach drei Monaten stationärem Aufenthalt dort ("Zwangspsychiatrierung" nennt es die Mutter), flüchten die beiden älteren Buben. Die Mutter holt sie mit dem Auto ab und bringt sie wieder in die Psychiatrie zurück. Doch die Kinder verriegeln die Türen und weigern sich aus dem Auto auszusteigen.

Schwere Vorwürfe gegen Jugendamt

Ein stundenlanges Tauziehen zwischen Ärzten, Betreuern und der herbeigerufenen Polizei beginnt. Dieses endet damit, dass die Kinder wieder in der NPKJ zurückgebracht werden und die Mutter zwangsweise einem Amtsarzt vorgeführt wird - wegen Suizidgefahr. Diese bestätigt sich nicht. Frau S. wird der Kontakt zu ihren Kindern eingeschränkt und zuletzt gänzlich untersagt. Sogar die Türen zur NPKJ werden mit einer undurchsichtigen Folie verklebt, damit es keinerlei Sichtkontakt mehr gibt. Sie soll ihre Kinder zur Flucht manipuliert haben.

Frau S. erhebt nun schwere Vorwürfe gegen das Jugendamt und die NPKJ. Sie sieht sich als Opfer des Jugendamts, das ihre und der Kinder Menschenrechte verletze. Dieses habe ihr die Kinder nur entzogen, weil sie nicht in allen Punkten mit dessen angeordneten Maßnahmen einverstanden gewesen sei. Die Familie würde jetzt zerrissen und den Kindern damit großer Schmerz zugefügt. Frau S. will aber um ihre Kinder weiterkämpfen. Wegen ihrer Zwangsvorführung beim Amtsarzt hat sie eine Amtsmissbrauchsanzeige an die Staatsanwaltschaft geschickt - gegen den Leiter der NPKJ und eine involvierte Ärztin.

Vor Gericht läuft derzeit das Obsorgeverfahren. Es muss nun entscheiden, was mit den drei Buben passieren soll. Sie haben verschiedene Väter, die sich nach Jahren der Absenz plötzlich auch für die Obsorge interessieren.

Kein Einzelfall

"Leider ist das in Kärnten kein Einzelfall, dass das Jugendamt Müttern die Kinder entzieht, die nicht alles akzeptieren wollen, was ihnen von Amts wegen vorgeschrieben wird", sagt der Anwalt von Eva S. Farhad Paya. Das Jugendamt reagiere auf Widerstand mit brachialem Druck. Frau S. sei "vielleicht eine schwierige Person", doch das rechtfertige diese Vorgangsweise nicht. Paya verweist auf zwei ähnliche Fälle, in denen das Gericht dem Jugendamt die Obsorge wieder entzog. Die Kinder von Frau S. seien weder missbraucht, noch misshandelt oder sonst wie schlecht von ihrer Mutter behandelt worden. "Frau S. hat lediglich einen etwas unkonventionelleren Lebenswandel und Erziehungsstil als Normalbürger." Auch die NPKJ sieht Paya kritisch: "Man agiert wie ein verlängerter Arm des Jugendamts".

An der offensichtlichen Eskalation im Fall S. will niemand schuld sein. Jugendamt und NPKJ weisen alle Vorwürfe zurück und schieben den Ball Frau S. zurück. Einen konkreten Anlass für den Entzug der Kinder kann die Leiterin des Jugendamts Andrea Müller-Tschebull nicht nennen: aus Gründen der Amtsverschwiegenheit. Es habe sich in der mehrjährigen Begleitung der Familie ein Gesamtbild ergeben, das den Kindesentzug wegen "Gefahr in Verzug" unumgänglich gemacht habe. Das Kindeswohl stehe dabei immer im Vordergrund.

Auch der Vorstand der NPKJ, Wolfgang Wladika, sieht keine Fehler seiner Abteilung. Eva S. Kinder haben sich dort Selbstverletzungen zugefügt. Das passiere leider immer wieder und lege sich wieder. Auch er kann im konkreten Fall keine Auskunft geben - es gilt die ärztliche Schweigepflicht. Der Aufenthalt in der NPKJ sei eine vorläufige Maßnahme. Man habe den gesetzlichen Auftrag bei Gefahr in Verzug die Kinder aufzunehmen, bis ein geeigneter Platz gefunden sei. Alles andere habe das Gericht zu entscheiden. (Elisabeth Steiner, DER STANDARD, 26.9.2013)