Einsatz - jetzt: für den Livekommentator bei France Inter und für das alte neue Kino am Wiener Karlsplatz. Nicolas Philiberts Dokumentarfilm "La maison de la radio" gehört zum Eröffnungsprogramm des neuen Stadtkinos im Künstlerhaus.

Foto: stadtkino Filmverleih

Wien - Tagesgeschäft bei Radio France, Frankreichs größter öffentlich-rechtlicher Hörfunkstation. Gerade findet die Redaktionskonferenz der Nachrichtenabteilung statt, unterschiedliche Zugänge zu aktuellen Themen werden diskutiert, darunter auch zum Teenie-Schwarm Justin Bieber. Oder, wie es ein Redakteur nennt: zum Phänomen "Justin Bieber". Welchen Ansatz wählt man? "Ich würde gerne einen Jugendlichen dazu hören, aber einen Soziologen zu fragen, das ist typischer für France Inter", sagt ein Journalist. "Ja, einen linken Soziologen", scherzt daraufhin ein anderer.

Die Szene aus Nicolas Philiberts Dokumentarfilm La maison de la radio ist komisch, darüber hinaus erzählt sie etwas über das ironische Selbstverständnis der dort Arbeitenden. Zur Identität einer Rundfunkanstalt dieser Größe gehört eben auch das Bild, das davon in der Öffentlichkeit zirkuliert: Wer hier arbeitet, weiß ums Renommee der Institution und der journalistischen Arbeitsweisen, kennt Ansprüche und Erwartungen, denen man genügen muss.

Philiberts Zugang zum im großen Gebäude der Maison de Radio France in Paris situierten Unternehmen ist eigentlich simpel und dann doch wieder schwierig, weil er über ein Bildmedium erfolgt. Der Film versucht eine Arbeit ins Bild zu rücken, die sich primär über den Ton definiert. Der französische Regisseur ist allerdings ein Meister darin, gerade aus dieser Reibung von Ton und Bild eine eigene Dramatik zu generieren: 1992 hat er sich in Le pays des sourds mit wachem Beobachtungssinn bereits mit den sprachlichen Umgangsformen von Taubstummen beschäftigt.

La maison de la radio ist so auch weniger ein Institutionenfilm im Stile von Frederick Wiseman, mit dem Philibert öfters verglichen wird. Vielmehr erscheint der Film als Werk über die Mannigfaltigkeit menschlicher Ausdrucksformen, als sehr unterhaltsame Arbeit über Kommunikation in einem grundsätzlichen Sinn. Der Regisseur konzentriert sich ganz auf die Arbeit vor dem Mikrofon (beziehungsweise deren Vorbereitung): angefangen von der richtigen Stimmlage, die dem Zuschauer keine Zeit für Abschweifungen gibt, über das Einüben und Einstudieren von Texten (und deren Montage) sowie zahlreiche (musikalische) Proben bis hin zum Live-Act und seiner ihm eigenen Dramatik.

Meisterhaft montiert

La maison de la radio arbeitet überraschenderweise nicht mit längeren Szenen, in denen man sich als Beobachter einrichten kann, sondern läuft auf kurze, prägnante Intervalle hinaus, die dem Film eine äußerst rhythmische Struktur verleihen. Dass Philibert dennoch Ordnung angesichts der Vielzahl an Schauplätzen und Sendungsformate hält, liegt an der meisterhaften Montage, die ständig neue Beziehungen herstellt. Ob die Aufnahme eines Hörspiels oder eine Chorprobe, ob der rasante Wechsel von Interviewsituationen, in denen das stumme, aber grinsende Nicken der Journalisten eine eigene Komik generiert: Die Spannungskurve fällt nie ab, und es entsteht der Eindruck einer Professionalität, die sich an der Beherrschung ganz unterschiedlicher Formate manifestiert.

Natürlich treten mit der Zeit auch eine Handvoll Figuren hervor, die mit ihrem individuellen Charme beinahe einen Starcharakter bekommen: eine resolute Nachrichtenredakteurin, die die Nachricht von einer Million toter Sardinen (vielleicht sind es auch nur Sardellen) spöttisch kommentiert; ein Musikredakteur, der hinter den Stapeln seiner CDs nur noch als kauziger Kopf hervorragt; oder der Moderator einer Literatursendung, dem von seiner jungen Gesprächspartnerin glühende Blicke zugeworfen werden. In diesen Momenten zeigt sich Philiberts Beobachtungsgabe für sprechende Details.

Insgesamt behält La maison de la radio dennoch das Ganze einer Einrichtung im Auge, in der sich Journalismus noch als öffentliches Gut erhalten hat. Man kommt nicht umhin, dies auch als ein Plädoyer für ein nicht kommerziell orientiertes Medium zu sehen, in dem sich Gesellschaft selbst abbildet - mit all den Fertigkeiten und Kompetenzen, über die Menschen verfügen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 26.9.2013)