Wien - Für einen vermeintlich farblosen Kandidaten zeigte Michael Spindelegger viele Gesichter. Beschwingt startete der Vizekanzler im Puls-4-Studio gegen Kanzler Werner Faymann, ständig hinter dem Rednerpult hervortänzelnd. Auf ORF kompensierte er den Zwang zum Sitzen mit Temperamentsausbrüchen; BZÖ-Chef Josef Bucher schrie er fast nieder. Danach kippte Spindelegger wieder ins sedierende Element. Gegen die Grüne Eva Glawischnig blieb er der Unauffälligere.
Die Stimmungsschwankungen des ÖVP-Chefs nährten einen Verdacht: Hat da ein Polit-Coach seinen Klienten überzüchtet? Unsinn, winkt Pressesprecher Thomas Schmied ab. Spindelegger sei eben "ein Mensch aus Fleisch und Blut", dem auch einmal "die Galle hochkommt", wenn sich einer wie Bucher beim Hypo-Skandal blöd stellt. Kein Spin-Doktor habe die diskursiven Spaziergänge empfohlen, kein Stimmtrainer die Tonlage manipuliert: "Er spricht von Haus mit einer angenehmen Stimme in ganzen Sätzen."
Sprechpuppe
Die meisten heimischen Politiker geben solche Antworten, seit der einstige Kanzler Viktor Klima als ferngesteuerte Sprechpuppe in die Geschichte des Wahlkampfes 1999 einging. Dennoch ist sich Politikberater Thomas Hofer, "hundertprozentig sicher, dass die alle trainieren." Ein kabinettserprobter ÖVP-Insider sagt: "Fast jeder lässt sich coachen. Alles andere wäre unprofessionell."
Nicht nur hinter Spindelegger, dessen betont publikumsnahe Ausflüge durchs Studio an amerikanische Town-Hall-Meetings gemahnen, sieht Hofer den Coach stehen. SPÖ-Chef Faymann, beobachtete der Experte, habe offenbar seine Stimme gezielt tiefer gelegt und das einstige Dauerlächeln abgestellt. Einem Kanzler in schweren Zeiten steht Ernsthaftigkeit eben besser zu Gesicht.
Die offizielle Auskunft aus der SPÖ ähnelt jener von schwarzer Seite. Inhaltlich bereite sich Faymann intensiv auf Events wie dem ORF-Kanzlerduell am Dienstagabend vor, mit Faktenstudium und Briefings im engen Parteikreis, doch Hilfe von Außen sei nicht angesagt. Sessions mit dem Körpersprachetrainer Samy Molcho lägen schon länger zurück.
Auf ÖVP-Seite sind Kooperationen mit dem Wiener Institut Intomedia verbürgt. Auch im laufenden Wahlkampf sind die Medientrainer in Aktion, verrät Geschäftsführer Stefan Wagner, hütet Namen von Auftraggebers aber als Geschäftsgeheimnis.
Gusenbauer wurde "runder"
Dabei sei es "keine Schande", sich professionell vorzubereiten, meint Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer, der einst etwa seine Rhetorik schulen ließ - mit Erfolg, wie er meint: "Runder" seien die Auftritte geworden, "weniger akademisch und monologisch".
Für die Kanzlerduelle mit dem damaligen Titelverteidiger Wolfgang Schüssel absolvierte Gusenbauer gar "politische Stunts" im Trockentraining: "Von 100 möglichen Szenen haben wir 60 durchgespielt." Erst die so gewonnene Sicherheit habe ihm die Freiheit gegeben, in der Offensive spontan zu sein - etwa mit dem Sager: "Erzählen S' keinen Lavendel!"
Es sind Bonmots, die sich ins Gedächtnis fräsen. Dass Bruno Kreisky ÖVP-Herausforderer Josef Taus anno 1975 als "gouvernantenhaft" abkanzelte, wissen auch Politikkonsumenten, die damals noch gar nicht auf der Welt waren.
Auf Schlagzeile zielen
Emotionen kitzeln und Überraschungstreffer landen: "Das Ziel ist, die Schlagzeile des nächsten Tages zu bestimmen", sagt Ex-Schüssel-Sprecherin Heidi Glück. Wirklich gelungen sei dies im Wahlkampf nur Glawischnig - etwa als sie Faymann mit dem Vorwurf illegal finanzierter Plakate überrumpelte. Die eingesetzten Taferln sind zwar von Jörg Haider abgekupfert, aber wirksam: Per Bild bleibt hängen, was sonst im Redeschwall untergehen würde.
Weil das Kamerauge gnadenlos ist, hat Glück ihren Chef auch immer von Kopf bis Fuß überprüft: Akurate Frisur, geschnittene Fingernägel, saubere Schuhe, ein nicht zu dunkler Anzug - "und zum weißen Hemd gibt es im Fernsehen keine Alternative". Vor TV-Duellen sei er stets shoppen gegangen, erzählt Haiders Ex-Pressesprecher Stefan Petzner, um das modischste - und damit teuerste - Ensemble auszusuchen. Das Styling reichte bis ins symbolische Detail: Hatte Haider als junger Angreifer noch den Kulli in der Sakkotasche stecken, griff er später in der Pose des Elder Statesman zum Füller. (Gerald John, DER STANDARD, 24.9.2013)