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Jubiläum.

Foto: Reuters/Young

Wien - Es war ganz still am 24. September 1988 um die Mittagszeit im Olympiastadion von Seoul. Seit Monaten schon galt das 100-m-Finale als Duell des Jahrhunderts. Als der Startschuss fiel, flog Ben Johnson davon. In der damals unpackbaren Weltrekordzeit von 9,79 Sekunden rannte der Kanadier ins Ziel, distanzierte den großen Carl Lewis. Drei Tage später stand der vermeintliche Held der Spiele als Betrüger am Pranger. Olympia erlebte seinen bis heute größten Dopingskandal.

Der Fall Johnson hat den Anti-Doping-Kampf intensiviert. Bald wurde auch im Training getestet, wurden die Analysen optimiert, Proben von wichtigen Wettkämpfen für acht Jahre eingefroren. Das konnte aber spektakuläre Fälle wie jene der deutschen Sprintweltmeisterin Katrin Krabbe (1992), des 100-m-Olympiasiegers Justin Gatlin aus den USA (2006) oder die heurigen von Asafa Powell (Jamaika) und Tyson Gay (USA) nicht verhindern. Doper pflegen den Fahndern oft einige Schritte voraus zu sein. Wie damals Johnson Lewis.

Theater

Im Urin des muskelbepackten Kanadiers, der 1976 als 15-Jähriger mit seiner Mutter Jamaika verlassen hatte, um ein besseres Leben zu suchen, fanden sich Spuren des synthetischen anabolen Steroids Stanozolol. Gefunden wurden sie durch ein neues Nachweisverfahren. Als sich die Sensationsmeldung in Seoul herumsprach, verließ der 27-Jährige mit seiner Mutter Gloria fluchtartig die Stadt.

Das Gold ging an seinen US-Rivalen Lewis, der mit seinen 9,92 Sekunden auch zum Weltrekordler wurde. Gerüchte, ein Mann aus seinem Umfeld habe Johnson bei der Dopingkontrolle die verbotene Substanz ins Bier gemischt, wurden nie entkräftet. Dabei hätte Lewis gar nicht starten dürfen, denn vor Olympia waren Dopingsubstanzen bei ihm gefunden worden. Der US-Verband vertuschte die Sache. Und so stieg das schmutzigste Rennen der Geschichte. Bis auf Calvin Smith (USA), den ursprünglich Vierten, der auf den Bronzeplatz hinter dem Briten Linford Christie aufrückte, wurden alle Finalisten irgendwann positiv getestet.

Meilenstein der Aufmerksamkeit

In einem geschichtlichen Abriss der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) ist der Fall Johnson "ein Meilenstein, der die Aufmerksamkeit der Welt in beispielloser Weise auf das Dopingproblem gerichtet" habe.

Benjamin Sinclair Johnson, der auch WM-Gold und Weltrekord von Rom 1987 verlor, nur Olympiasilber 1984 behielt, vertritt die Verschwörungstheorie bis heute. Unbestritten ist, dass er von seinem Trainer Charlie Francis für Weltrekorde und Olympiasieg präpariert worden war. Francis, der 2010 im Alter von 61 Jahren an Lymphdrüsenkrebs starb, hatte ihn einer sechsjährigen Hormonmast unterzogen.

Ben Johnson predigte während seiner Sperre in Schulen gegen Doping, kehrte zwei Jahre später auf die Laufbahn zurück. 1992 scheiterte er bei Olympia in Barcelona als Letzter im Halbfinale. Ein Jahr später wurde er in Montreal mit Testosteron erwischt und lebenslang gesperrt. Auch vor öffentlichen Gerichten unterlag er in jeder Instanz.

Tausendsassa

Johnson fuhr dann Stockcar-Rennen, lief mit Pferden um die Wette, gab den Wide Receiver im American Football, war Konditionstrainer der Fußballer vom AC Perugia, persönlicher Fitnesstrainer des einst weltbesten Fußballers Diego Maradona, der 1994 einen positiven Dopingtest ablieferte, sowie eines Sohnes von Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Skandal kehrt Johnson an den "Tatort" Seoul zurück, besucht das Olympiastadion. "Am 25. Jahrestag meines größten und schlimmsten Moments bin ich auf einer Mission für Veränderung." Er sagt angesichts der vielen Delikte weltweit: "Die Einstellung der Athleten muss sich ändern, das System muss sich ändern, der Sport muss sich ändern, bevor es zu spät ist." (sid/red, DER STANDARD, 24.9.2013)