Ein Kontrast, der das Nachdenken fördert: Unbekümmert legen Badeurlauber mit ihren Booten vor den Ruinen der Fabrikshallen an, wo einst die Häftlinge schuften mussten.

Foto: derStandard/Kirchengast

Goli Otok / Wien - Ivan ist promovierter Geologe. Weil er keinen adäquaten Job findet, steuert er imSommer ein Ausflugsboot des väterlichen Tourismusunternehmens im kroatischen Punat. Zur Goli Otok, der Nackten Insel, fährt er an diesem Tag das erste Mal. Mit an Bord ist ein "jugoslawisches" Ehepaar: er Slowene, sie gebürtige Bosnierin. Im alten Jugoslawien sei alles besser gewesen, meint sie. Ob sie dazu auch unser Reiseziel zählt, sagt sie nicht.  

Wir legen an der Mole an. Bis 1988 wurden hier die von Häftlingen produzierten Terrazzofliesen auf Schiffe verladen. In jenem Jahr, drei Jahre vor dem Zerfall Jugoslawiens, wurde das Gefangenenlager aufgelassen.

"Titos KZ" wurde Goli Otok genannt, ironisch auch "Titos Hawaii". Ein Stück jugoslawischer Geschichte, dessen Entstehung gewiss nicht der Ironie entbehrt. Nach seinem Bruch mit Stalin 1948 ließ der jugoslawische Staatschef auf Goli Otok ein Gefangenen- und Arbeitslager errichten - nach dem Vorbild des stalinistischen Gulag. Gedacht war es vor allem für jugoslawische Stalin-Anhänger, aber auch für Faschisten. Später, etwa ab 1955, kamen auch andere angebliche Staatsfeinde hierher, dann auch gewöhnliche Kriminelle.

Tito, einst Unteroffizier der Habsburger-Armee, verfiel nicht zufällig auf Goli Otok: Während des Ersten Weltkriegs hatten die Österreicher dort ein Lager für russische Kriegsgefangene errichtet. Begrünt wurde die völlig kahle Insel erst ab 1949: Eine der meistpraktizierten Foltermethoden war es, Gefangene stundenlang in praller Sonne stehen zu lassen, damit sie den jungen Kiefersetzlingen Schatten spendeten und sie vor dem Verdorren bewahrten. Schätzungsweise 16.000 Menschen gingen durch die nackte Hölle, etwa 400 starben durch Erschöpfung oder Krankheit.

Heute ist die Insel beliebtes Touristenziel. Im Restaurant am Hafen gibt es zur Dauermusik gebratene Makrelen, Cevapcici und kühles kroatisches Bier. Das offizielle Kroatien kümmert sich kaum um eine angemessene Gedächtniskultur. Die Insel werde "dem Verkommen überlassen" heißt es auf einer Tafel. Doch die Botschaft, die aus den stummen Ruinen des Straflagers spricht, übertönt das Geplärre der Restaurantlautsprecher. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 23.9.2013)