Alexis Tsipras beharrt auf deutschen Reparationen.

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Standard: Sie kommen eben aus Deutschland zurück. Dort wird gewählt, und wahrscheinlich wird Ihre Lieblingsfeindin Angela Merkel Kanzlerin bleiben. Zufrieden?

Tsipras: Bei Wahlen kann es Überraschungen geben, deswegen sollten wir zunächst einmal abwarten und Tee trinken. Wir wollen nicht gegen die Interessen der Menschen handeln. Wir wenden uns gegen die Politik der Regierungen, die die Menschen im Süden in eine Sackgasse gebracht hat. Früher oder später werden auch die Bürger in Deutschland oder in Österreich den Preis für ein Austeritätsprogramm tragen, das in keinem Fall tragfähig ist.

Standard: Wie wollen Sie es den deutschen oder österreichischen Steuerzahlern denn verkaufen, dass Griechenland 2014 vermutlich schon wieder ein milliardenschweres Rettungspaket braucht?

Tsipras: Vor einem Jahr war ich in Hamburg. Dort habe ich Folgendes gesagt: Unser Programm wendet sich nicht gegen die unpopulären und harten Maßnahmen, sondern dagegen, dass diese ineffizient sind, in eine Sackgasse führen und uns dazu zwingen werden, neue Kredite aufzunehmen. Unglücklicherweise habe ich recht behalten. Unsere Gegnerschaft gegen die Austeritätsprogramme gründet sich darin, dass sie genau das Gegenteil von dem bewirken, was sie bewirken sollen. Die Lösung für Griechenland sind nicht neue Kredite, mit denen alte Kredite bezahlt werden. Das treibt nur die Schulden in die Höhe und verwehrt uns den Zugang zu den Märkten. Die Lösung für Griechenland und den europäischen Süden sind die Restrukturierung der Schulden und ein Wachstumsprogramm.

Standard: Markt bleibt Markt. Auch wenn Schulden erlassen werden, braucht Griechenland Geld. Wer soll Ihnen das leihen?

Tsipras: Wenn die Schulden restrukturiert sind, wird der Markt völlig anders reagieren. Vor der Implementation des Programms 2010 lagen unsere Schulden bei 110 Prozent des BIP, heute sind es 170 Prozent. Die Märkte leihen Griechenland kein Geld, weil sie nicht glauben, dass sie es je wiedersehen. Sobald wir wieder ein tragbares Schuldenniveau haben, werden wir auch wieder an Geld kommen und Wachstum haben.

Standard: Vor einigen Tagen haben Sie in einer Rede gesagt: "Frau Merkel, es ist Zahltag!" Damit waren aufgezwungene Anleihen der Deutschen während des Zweiten Weltkrieges gemeint.

Tsipras: Diese Position haben wir bereits seit langem inne. Es ist zum Nutzen aller, wenn diese Sache gelöst wird. Es geht im Grunde um eine ethische Frage - auch wenn es nur um einen Euro ginge, müsste sie bereinigt werden. Wir müssen die Naziverbrechen, vor allem auch weil die Rechte jetzt erneut Zuwachs hat, wiedergutmachen. Dieses Thema geht nicht nur die Griechen an, sondern alle Europäer. Wir müssen hier einen Konsens erzielen.

Standard: Die Rechtsposition Deutschlands ist, dass alle Reparationsfragen gelöst sind.

Tsipras: Für uns ist das Thema weiter offen. Wenn Kanzlerin Merkel denkt, dass es abgeschlossen ist, warum tritt sie dann mit uns nicht in Dialog? Die Frage des Zwangsdarlehens ist eine historische Verpflichtung, der nicht nachgekommen wurde. Griechenland ist ein Land in einer humanitären Krise. Wir können uns den Luxus nicht leisten, das beiseitezulegen.

Standard: Sollten Sie die Regierung in Griechenland übernehmen, würden Sie die Eurozone verlassen oder gar die EU?

Tsipras: Den Euro zu verlassen, das liegt nicht in unserer Macht. Wir glauben nicht in an einen Wettbewerb der Völker Europas durch Währungsentwertungen. Es gibt eine große Gefahr, dass Europa zwischen Defizit- und Überschussländern geteilt wird. Das wäre eine große Gefahr für unsere gemeinsame Zukunft. Die Machtübernahme Syrizas in Griechenland wäre der Startpunkt für einen großen politischen Umschwung in ganz Europa. Wir brauchen einen New Deal, der Jobs und Wachstum erzeugt. In Griechenland wollen wir die Implementation des falschen Programms stoppen, die Würde der Menschen wiederherstellen und Ressourcen an die Armen umverteilen. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 21.9.2013)