Unkonventionelles Gespann: Tanzlehrerin Pauline (Clémence Poésy) und der verwitwete Pensionist Mr. Morgan (Michael Caine).        

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Wien - Wenn ein alter Amerikaner in Paris mit dem Bus eine Station zu weit fährt, dann könnte es sein, dass er eine junge Frau auf sich aufmerksam machen möchte. Noch kennt Matthew Morgan ihren Namen nicht, am Tag zuvor haben sie einander zufällig im selben Bus getroffen. Nun steht er hinter ihr, blickt ihre langen Haare hinab und möchte aus lauter Verlegenheit am liebsten im Boden versinken. Natürlich ist es für die weitere Erzählung notwendig, dass Mr. Morgan (Michael Caine) und Pauline (Clémence Poésy) zueinanderfinden, der Augenblick aber, in dem sich diese Zukunft entscheidet, wird von der deutschen Regisseurin Sandra Nettelbeck akkurat in einem Schwebezustand gehalten.

Falls Pauline Mr. Morgans letzte Liebe ist, dann ist sie natürlich eine platonische. Drei Jahre sind vergangen, seit die Frau des emeritierten Professors gestorben ist - in als Erinnerung gekleideten Rückblenden sieht man das Paar während seiner letzten gemeinsamen Tage -, und die junge Tanzlehrerin, die selbstverständlich einen Freund hat, ist für Morgan nichts weniger als die Wiederkehr des Lebens.

Keine Rührseligkeit

Das klingt einigermaßen nahe am Kitsch gebaut, und tatsächlich basiert Mr. Morgan's Last Love auf der wenig subtilen Vorlage Die letzte Liebe des Monsieur Armand von Françoise Dorner. Doch Nettelbeck gelingt es erstaunlich gut, über weite Strecken keine große Rührseligkeit aufkommen zu lassen und stattdessen dem alten Mann und dem Mädchen glaubhaft eine eigene Sicht auf die Dinge - und ihnen damit auch ihre nicht gerade schlüssige Beziehung - zuzugestehen.

Doch es scheint, als ob Nettelbeck einer einfachen Geschichte und den inneren Konflikten nicht getraut hätte. Denn zusätzlich zur einfallslos aufdringlichen Untermalung aus der Filmmusikwerkstatt des Hollywood-Komponisten Hans Zimmer verliert sich Mr. Morgan's Last Love auch noch zunehmend in diversen Nebenhandlungen, in denen vor allem Morgans aus den USA angereiste Kinder - Justin Kirk als gedemütigter Sohn und Gillian Anderson als überdrehte Tochter - für Verwirrung und entsprechende Aufregung herhalten müssen.

Selbstverständlich versteht sich Mr. Morgan's Last Love als ein Film über das Anderssein, dem zu seinem Recht verholfen werden will: Auf der einen Seite der Eigenbrötler, der nach Jahren in Paris noch immer kein Französisch spricht und sich insgeheim von der alten Heimat nie losgesagt hat; auf der anderen Seite eine junge Frau, deren Neugierde eben dadurch geweckt wird und die es als herausfordernde Aufgabe begreift, diesen emotionalen Schild zu durchbrechen. Das ist die dem Film zugrunde liegende Idee: eine unkonventionelle Freundschaft für alle anderen zur Normalität werden zu lassen.

Klassische Altersrolle

Erzählt wird das allerdings wiederum recht konventionell. Was also bleibt, sind jene Momente, in denen Michael Caine die Möglichkeiten einer solchen klassischen Altersrolle dankend ergreift und entgegen allen Enthüllungen und Erklärungen seiner Figur einen Rest an Geheimnis bewahrt. Denn die letzte Liebe ist nicht unbedingt die schönste, und was danach kommt, weiß ohnehin niemand.   (Michael Pekler, DER STANDARD, 21./22.9.2013)