Der Kopf einer komatösen Patientin als unheimlicher Schauplatz des Films: Haruka Ayase in Kiyoshi Kurosawas ungewöhnlicher Horror-Science-Fiction "Real" ("Riaru: Kanzen naru kubinagaryū no hi", in Wien zu sehen am 29.9. um 13 Uhr im Filmcasino).

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"Japans Geister sind anders." - Kiyoshi Kurosawa (58) ist der gegenwärtig renommierteste japanische Horror-Regisseur. In Filmen wie "Cure" und "Pulse" verhandelt er existenzielle Befindlichkeiten innerhalb genrehafter Erzählungen. Für "Tokyo Sonata" wurde er 2008 in Cannes prämiert.

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STANDARD: Das Horrormotiv hat in Ihren Filmen stets eine soziale Komponente. In "Real" dringt ein Mann ins Bewusstsein seiner komatösen Frau ein, um herauszufinden, warum sie sich umbringen wollte - das erscheint wie eine melodramatische Zuspitzung aller Ihrer Themen?

Kurosawa: Ich gehe nicht unbedingt von einem sozialen Problem aus. Oft sind ein Geist oder in diesem Fall das Unverständliche einer Tat zuerst da. Aber Sie haben recht, für mich sind das zwei Dinge, die sich auf derselben Ebene befinden. Der Horror hat immer eine gesellschaftliche Seite - man deckt einen Aspekt mit dem anderen auf, weil sie eigentlich zusammengehören. Beide Elemente sind wichtig, um im Film Realität darzustellen.

STANDARD: Geisterfilme haben im japanischen Kino eine lange Vorgeschichte. Es heißt auch immer wieder, in Japan gebe es eine andere Gegenwart des Spirituellen als im Westen - wie stark wurden Sie davon geprägt?

Kurosawa: Ich liebe diese alten Geistergeschichten, die mich sicher auch beeinflusst haben. Allerdings sind diese Filme in den 1970er-Jahren fast aus dem Kino verschwunden. Erst in den 1990er-Jahren kam es zu einer Renaissance, eine Gruppe von Regisseuren, zu der ich auch gehöre, hat sich des Genres wieder angenommen. Die Darstellungsweise hat sich im Vergleich zu den klassischen Beispielen sehr verändert: Wir wollten den Geistergeschichten eine neue Ästhetik geben.

STANDARD: Wie würden Sie die neue Qualität beschreiben?

Kurosawa:  Im traditionellen "kaidan eiga" (Geisterfilm, Anm.) sind Geister meist Frauen, die von Männern betrogen oder anderweitig schlecht behandelt wurden und unglücklich gestorben sind. Sie kommen zurück, um ihre Peiniger mit ihrem Leid zu konfrontieren. In den 1990er-Jahren ging es nicht mehr so sehr um diese persönliche Rache - die Geister beziehungsweise geisterähnlichen Erscheinungen haben sich gegen die Gesellschaft, gegen bestimmte Verhältnisse gewandt. Oder sie waren indirekt dazu da, um eine unterdrückte Vergangenheit in die Gegenwart hinein zu verlängern und etwas zu vermitteln.

STANDARD: "J-Horror" hat sich auch im Westen als sehr erfolgreich erwiesen. Wie erklären Sie sich diese Popularität?

Kurosawa: Geister sind im japanischen Kino anders. Sie greifen nicht an, sie sind einfach da und zeigen sich im Alltag der Menschen. Das unterscheidet sie von ihren Ablegern im Westen, wo andere Mythologien wirksam sind. Ich halte Geister im japanischen Kino für viel unheimlicher, da man einen Geist wie im US-Kino, der einen verfolgt, zumindest bekämpfen kann. Es geht um den Glauben, dass man das Böse besiegen kann, während man im japanischen Kino mit den Geistern zusammenleben muss. Die Idee, dass man die Dinger nicht los wird, ist viel beklemmender.

STANDARD: In "Real" verhandeln Sie indirekt auch die Sünden des Großkapitals - Investitionen auf einer Insel, welche die alte Kultur bedrohen.

Kurosawa: Ja, das ist ein Motiv im Film. Die Inseln wurden von touristischen Entwicklungen aus ihrem Gleichgewicht gebracht. Zugleich ist der Film auch sehr persönlich. Es geht um ein individuell erfahrenes Trauma aus der Kindheit, das unaufgelöst geblieben ist. In "Real" überschneiden sich diese beiden Elemente.

STANDARD: Ich sah "Real" auch als einen Film über Erinnerung. Lag in der Unbegrenztheit der Möglichkeiten, sich im Bewusstsein, in den Gedanken eines anderen zu bewegen, nicht auch eine Gefahr?

Kurosawa:  Ja, es gibt fast zu viele Angebote - ein Chaos, je weiter man vordringt. Ich wollte Ordnung herstellen, indem ich auf das Trauma aus der Vergangenheit fokussiert habe. Wie können wir uns an etwas erinnern, das tief in unserem Unterbewusstsein begraben liegt? Anders hätte ich den Film wohl nicht machen können.

STANDARD: Ein sehr freudianischer Zugang ...

Kurosawa: Ich habe aber nicht extra Freud studiert! Mir ging es eher darum, die Problematik zu vereinfachen, deshalb hab ich die Manga-Welt als Bezugsrahmen gewählt - der Film basiert ja auf einem Manga, "A Perfect Day for Plesiosaur" von Rokuro Inui. Dadurch wird es auch für den Zuschauer einfacher, sich etwas Konkretes vorzustellen.

STANDARD: Der Plesiosaurus wird jedenfalls sehr konkret ...

Kurosawa: Für mich ist er das Symbol des Traumas, ein Bild der Vergangenheit. Die Kampfszenen habe ich natürlich hinzugefügt ... (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 20.9.2013)