Ein straffällig gewordener Jugendlicher soll wieder in einen geordneten Alltag wechseln: Kogler (Thomas Schubert, li.) heißt der junge Held aus Karl Markovics' "Atmen", der mit der Arbeit im Bestattungsunternehmen allmählich festen Boden im Leben gewinnt.

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Geschwisterliche Bande - gerade geknüpft und schon wieder brüchig: Philipp Hochmair (li.), Andreas Kiendl, Andrea Wenzl und Emily Cox in "Die Vaterlosen".

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Ein junger Mann beginnt die Beziehungen innerhalb seiner Familie zu hinterfragen, nachdem er meint, ein illegitimes väterliches Begehren zu bemerken: Anja Plaschg und Christoph Luser (hinten) in Sebastian Meises Filmdrama "Stillleben".

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Eine glückliche Fügung, wie man sie nur selten erlebt, war für die Schauspielerin Christine Ostermayer ihre späte Leinwandliebe mit Karl Merkatz in "Anfang 80" (li.) von Sabine Hiebler und Gerhard Ertl.

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Ein altes Familienfoto und sechs Ballettmädchen aus der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (o.) gaben für den Filmemacher Goran Rebic den Anstoß zur Geschichte von Bilja und ihrem Sohn Sascha und zu seinem Wiener "Jugofilm" (1997).

Foto: goran rebic
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Karl Markovics über einen wesentlichen Wegbegleiter seines Regiedebüts "Atmen".

Im Nachhinein hat es oft den Anschein, dass es für bestimmte Vorhaben die richtige Zeit, den richtigen Ort und die richtigen Menschen gibt. Über Zeit und Ort will ich jetzt nicht philosophieren, aber über einen ganz bestimmten Menschen erzählen, der im Fall meines Films Atmen der "Richtige" war: Leopold Dienstl; Anfang 50, bärenstark und Mitarbeiter beim Abholdienst der Wiener Bestattung.

Herr Dienstl ist "Partieführer" und einer von über 60 Mitarbeitern des Abholdienstes. Mit jeweils zwei Kollegen fährt er in Spitäler, Altenheime, Wohnungen oder zu Unfallorten, um Verstorbene abzuholen, sie zu waschen, zu bekleiden und einzusargen. Leopold Dienstl ist in gewisser Weise ein moderner Charon, ein Fährmann, der die Toten auf ihrem letzten Weg begleitet. Während der Recherchen zum Drehbuch von Atmen wurde er für mich zum Wegbegleiter in ein Reich, das mir bislang unbekannt gewesen ist und ich verdanke es ihm, dass mir diese Reise mehr über die menschliche Existenz selbst, als über ihre Endlichkeit vermittelt hat.

Ich habe nie zuvor einen Menschen kennengelernt, der so da und mit beiden Beinen auf der Welt war, wie Leopold Dienstl. Mit jedem Atemzug, mit jeder Bewegung schien er sich an sein Dasein erinnern und dieses Dasein erfüllen zu wollen. Selbst wenn er nur vor einem stand, war sein Stehen eine potenzielle Bewegung. Herr Dienstl hatte (und hat immer noch) eine feste Stimme, einen festen Gang und einen festen Schmäh. Aber was das Wichtigste ist: Herr Dienstl hat, nach zig Dienstjahren und Hunderten, wahrscheinlich Tausenden von Verstorbenen, seine Neugier am Leben und an den Lebenden nicht abgelegt, sondern womöglich noch vergrößert.

So kommt es nicht von ungefähr, dass Leopold Dienstl auch bei den Dreharbeiten von Atmen mehr als nur dabei war. Er werkte und wirkte als Coach für die Schauspieler, Komparse, Beleuchter- oder Tonassistent und als mein persönlicher Freund. Wenn sie den Film ansehen, achten sie doch bitte auf die kleine Szene im Aufenthaltsraum bei Minute 59:30. Herr Dienstl ist der rechte Kartenspieler – sie merken es gleich an seinem festen Stich.

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Marie Kreutzer erinnert sich an die emotionale Aufnahme von "Die Vaterlosen".

Wenn man mich fragt, was Die Vaterlosen für mich bedeuten, ist man selbst schuld. Die Antwort wird umfangreich und emotional.

Ich glaube, die Qualität und der Erfolg eines Films haben ganz viel mit der Leidenschaft und Kompromisslosigkeit derer zu tun, die an seiner Entstehung beteiligt sind. Man kann bei seinem ersten Langfilm nicht alles im Griff haben, auch wenn es vielleicht gelingt, den anderen das vorzuspielen. Man muss vertrauen, und zwar wahnsinnig vielen Menschen. Das habe ich getan. Sie haben mir auch vertraut.

Für mich ist dieser Film mehr als ein beruflicher Erfolg. Wenn ich eine Zeitreise machen könnte, würde ich an mein Filmset zurückreisen und noch einmal einen Tag dort verbringen. Der Ort, an dem wir diesen Film gedreht haben, war eine Wiese, auf der täglich vierblättrige Kleeblätter gefunden wurden und auf der nachts die Glühwürmchen dem gigantischen Sternenhimmel Konkurrenz machten. Ich werde, wie Sie sehen, sehr sentimental, wenn es um Die Vaterlosen geht. Worauf ich stolz bin, sind die emotionalen Reaktionen auf den Film, die in allen Kinovorführungen, die ich miterlebt habe, bemerkbar waren, auf der Berlinale, auf der Diagonale, auf dem L.A. Filmfestival und so weiter. Dass mir, von den Schauspielern angefangen bis zu mir völlig fremden Kinobesuchern, unzählige sehr persönliche Vater- und Familiengeschichten erzählt worden sind.

Ich will ein emotionales Kino machen, das sinnlich und vielschichtig und unkitschig ist und die Kinoleinwand voll ausnutzt. Wenn man mich fragt: Ich liebe meinen Film.

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Sebastian Meise freut sich über die Zusammenführung zweier (un-)trennbarer Filme.

Darüber, dass diese beiden Filme nun auf einer gemeinsamen DVD erscheinen, freue ich mich besonders. Denn auch, wenn sie denselben thematischen Ausgangspunkt haben, der eine bei Recherchen zu dem anderen entstanden ist, könnte man sich auf den ersten Blick fragen, was diese Filme eigentlich verbindet – bilden sie doch beinahe schon ihre formale Antithese. Der eine fiktiv, der andere dokumentarisch. Der eine still, der andere mitteilsam. Der eine auf Bilder und Stimmung setzend, der andere auf Worte und Fakten.

In ihrer Erscheinung könnten sie kaum unterschiedlicher sein, aber gerade darin ergänzen, erweitern sie sich für mich gegenseitig. Die Leerstellen, die der eine erzeugt, versucht der andere zu füllen. Die Fragen, die der eine versucht aufzuwerfen, versucht der andere durchzuspielen – und das mit den jeweiligen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Obwohl das keineswegs geplant war und jeder der beiden Filme auch für sich alleine stehen können sollte, sind sie in ihrem zeitgleichen Entstehungsprozess zwangsläufig aneinander gewachsen. Und das so sehr, dass es mir heute scheint, als wären sie ohne einander nur der unvollständige Teil einer zwar widersprüchlichen, aber doch gemeinsamen Existenz.


Foto: standard/robert newald

Als beste Schauspielerin für Anfang 80" beim Österreichischen Filmpreis 2013 geehrt: Christine Ostermayer.

Anfang 80 war für mich eine von den seltenen – erwähnten – glücklichen Arbeiten. Alles war leicht, auch das Schwere. Vor der Kamera und hinter der Kamera war alles stimmig. Ich wurde getragen von dem wunderbaren Drehbuch, vom wunderbaren Team – von meinem wunderbaren "Bruno" Merkatz. Ich konnte die Probleme des Alters zeigen – den Mut zum Leben – den Mut zur Selbstbestimmung. Dass Anfang 80 so aufgenommen wurde, ist – ich sage es noch einmal – ein wunderbarer Glücksfall.

Foto: Standard/Heribert Corn

Regisseur Goran Rebic über den "Krieg in den Herzen und Köpfen" im Vorfeld von "Jugofilm".

Als Jugofilm entstand, tobte der Krieg in den Köpfen und Herzen der " Jugos¹" in Wien, fern von den brennenden Häusern in der Heimat bangten viele um das Leben ihrer Verwandten und Freunde.

Das friedliche Miteinander war zu Ende, die gemeinsame Vergangenheit vergessen, alles Verbindende für alle Zukunft verteufelt und jede(r) einzelne auf die Blutzugehörigkeit reduziert.

Der Hass gegen die "Anderen" breitete sich unaufhaltsam aus. War jemand in der Familie getötet worden, im Kriegseinsatz oder einem Verbrechen zum Opfer gefallen, wurde in Wien Rache geübt – das Auto mit dem verfeindeten Kennzeichen wurde über Nacht bis in alle Einzelteile zertrümmert, das Café der verhassten Volksgruppe in Brand gesetzt. Der stolze Wochenendsoldat oder der verzweifelte Deserteur, von der feindlichen Frontlinie zurückgekehrt oder vor der Bestrafung über die Landesgrenze geflohen, wurde hier auf der Straße erkannt, durchs ganze Wohnviertel gejagt und zu Tode geprügelt, von den "Anderen" oder den "Eigenen". Einer, dem Gewalt angetan worden ist, fuhr dann in der Wiener U-Bahn oder im Stockautobus, die eingeschmuggelte Handgranate in der Hand, bereit sich blind zu rächen. Der mörderische Kreislauf hörte nicht auf.

Im Familienalbum fand ich ein Mädchenfoto meiner Mutter, das sie als Balletttänzerin mit fünf anderen Mädchen zeigt. Ich fragte mich, was aus ihren Freundinnen geworden war – sechs Mädchen auf einer Lichtung wie die sechs Republiken der SFRJ²? Damit begann die Geschichte von Bilja und ihrem Sohn Sascha aus Wien.

(¹) Südländer
(²) Sozialist. Föderative Republik Jugoslawien

(DER STANDARD, 21./22.9.2013)